Ermittlerpaar Moretti und Roland 02 - Suendenspiel
Wachhabenden ihre Position durch und bat ihn, zwei weitere Krankenwagen anzufordern. Noch nie war sie so glücklich gewesen, Per Roland zu sehen, dachte sie erleichtert und informierte ihn kurz, was passiert war.
»Ich übernehme von hier ab«, sagte er, ging zu den Jungs und blieb vor Kragen stehen, der dasaß und mit leerem Blick in die Luft starrte, als wäre etwas in ihm zerbrochen. Etwas, das nie wieder repariert werden konnte.
Miroslav erhob sich und riss sein Hemd auf, so dass die schusssichere Weste zum Vorschein kam. Aus einem kleinen Loch quoll Rauch. Sie würde ihn nie mehr damit aufziehen, immer noch an den alten Gewohnheiten aus Bosnien festzuhalten und eine schusssichere Weste anzuziehen, bevor er zu einem Einsatz ausrückte.
»Scheiße, tut das weh«, jammerte er.
Während der nächsten Minuten versuchte Liv, die Ruhe zu bewahren. Den Überblick überließ sie Roland. Sie half Miroslav, die Verhafteten wieder auf die Beine zu stellen und nach draußen zu den Autos zu befördern.
Kolonnen von Blinklichtern hüllten das Gebiet vor der Bibliothek in ein blau flimmerndes Licht. Überall wurden Polizeiausweise gezogen. Der Amtsarzt kam und erklärte Jacob für tot. Kurz darauf wurde er in einem Leichensack abtransportiert. Die Kriminaltechniker dominierten mit ihren weißen Ganzkörperanzügen die Szenerie und sperrten das Gebäude mit ihrem wohlbekannten rot-weißen Band ab. Dann tauchten die ersten Fotografen auf, sie mussten mitten in der Nacht den Polizeifunk abgehört haben. Auch ein paar einheimische Neugierige gesellten sich in Bademänteln und mit verwuschelten Haaren dazu.
Kragen weinte wie ein Kind, als er auf den Rücksitz eines Streifenwagens verfrachtet wurde. Ein Abgrund voller Schmerz schien sich vor ihm geöffnet zu haben, der drohte, ihn zu verschlingen. Wieder und wieder wiederholte er wie ein Mantra, dass alles doch nur ein Spiel gewesen sei. Als ob damit alles wieder gut und Jacob wieder zum Leben erweckt werden könnte.
Unterdessen wurde Joakim, schwer mitgenommen, zu einem Krankenwagen geführt.
Roland legte einen Arm um Livs Schulter. Gemeinsam sahen sie zu, wie Anette auf einer Trage im nächsten Krankenwagen verschwand, mit Max an ihrer Seite.
Erst jetzt bemerkte Liv, dass sie zitterte.
»Du fährst mit mir«, brummte er. »Du solltest dich jetzt nicht hinters Steuer setzen. Miroslav kann dein Auto zurückfahren.«
»Zur Hölle nochmal«, stöhnte sie und schluckte das Weinen herunter, während sie sich eine Zigarette anzündete und einen langen, tiefen und dringend benötigten Zug nahm. Ihre Hände zitterten noch immer, und die Bilder von Jacob Adamsen, der nach ihrem Schuss auf den Boden stürzte, flimmerten wie kleine Lichtschimmer vor ihren Augen.
»Wo zum Teufel bist du so plötzlich hergekommen?«, fragte sie, während sie spürte, wie er seine schwarze Jacke um sie legte. Sie protestierte nicht.
»Als dein Gott bin ich allgegenwärtig«, sagte er und hielt sie fest, während das Blaulicht der Krankenwagen in der Ferne verschwand.
30
A m Sonntag, den 22. Februar, schien in Sønderborg die Sonne. Kinder zogen sich gegenseitig auf Schlitten über die Schneehaufen, die der Räumdienst nach dem nächtlichen Schneetreiben an den Straßenrändern aufgetürmt hatte. Sie bewarfen sich mit Schneebällen, und ihr sorgloses Lachen erfüllte die Winterluft.
Liv Moretti saß im Hotel Scandic an ihrem Schreibtisch. Sie nahm weder die Sonne noch die direkt unter ihrem Fenster spielenden Kinder wahr. Sie wartete. Wartete, dass der Computer eine Datei herunterlud, die sie zugeschickt bekommen hatte. Ein Dokument, auf das sie lange gewartet hatte, fast eine Woche.
Die Idee zu der Mail war ihr zu Beginn der Ermittlungen gekommen. Jetzt hatte sie Antwort vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag erhalten. »ICTY International Criminal Tribune for the Former Yugoslavia« stand in der Betreffzeile.
Nach ihrem ersten Besuch bei Safet hatte sie einen ihrer Kontakte angeschrieben und ihn gebeten, alles herauszusuchen, was sie über Esad Nuhanovic hatten. Ein Satz, den er gesagt hatte, »Krieg bringt die Menschen dazu, Verbrechen zu begehen, die sie sonst niemals verübt hätten. Entweder aus Not oder einfach nur, weil sie durchdrehen«, hatte sie auf die Idee gebracht, dass Esad möglicherweise in den Archiven des Kriegsverbrechertribunals zu finden war.
Tatsächlich schien das der Fall zu sein, denn in einem Zeugenverhör tauchte sein Name auf. Seiner und der seines
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