Ermittlerpaar Moretti und Roland 02 - Suendenspiel
Sohnes Safet. Während des Verhörs waren die Zeugen durch Pseudonyme geschützt worden, aber in den Archiven waren die Namen vermerkt, und die hatte ihre Kontaktperson beigefügt.
Der Computer brauchte noch ein paar Sekunden, dann war das Dokument da. Die komplette Abschrift eines bestimmten Gerichtstages in einem bestimmten Prozess, bei dem es um die Massenerschießung einer Gruppe von Moslems auf der Flucht aus Srebrenica ging. Sie waren in einem Wald gefangen genommen worden, hatte der Zeuge ausgesagt. Es hatte sich um sieben Moslems gehandelt. Die serbischen Soldaten waren nur zu viert, dafür aber schwer bewaffnet. Die bosnischen Zivilisten waren auf der Flucht vor einem Massaker in ihrer Heimatstadt. Die Serben hatten sich als bosnische Soldaten verkleidet unter dem Vorwand, eine Abkürzung zu kennen, auf eine Lichtung gelockt, doch das war eine Falle gewesen, erklärte der Zeuge.
Liv überflog schnell den nächsten Abschnitt, der davon handelte, dass der Richter seine Brille vergessen hatte und sich nun eine ausleihen musste. Außerdem hatte es Probleme mit dem Mikrofon eines der Anwälte gegeben. All das stand in den vier Abschriften, von denen allein diese mehr als 300 Seiten lang war. Sie scrollte weiter und fand den Rest der Zeugenaussage.
Die vier Männer der serbischen Miliz hatten die sieben Moslems in einer Reihe aufgestellt. Einer von ihnen war ein kleiner Junge, nicht mehr als ein paar Jahre alt. Sie hatten sie gezwungen, ein großes Loch zu graben und sich an den Rand zu stellen, bevor die Serben damit begannen, einen nach dem anderen zu erschießen. Der Zeuge hatte als Drittletzter in der Reihe gestanden, der kleine Junge und sein Vater waren die beiden Letzten gewesen. Einer nach dem anderen waren die Männer per Kopfschuss liquidiert worden, egal, wie inständig sie um ihr Leben flehten. Abgeschlachtet wie die Tiere fielen sie rückwärts direkt in das Grab. Die Soldaten hatten gegrinst, gejohlt und gesungen. Allerdings nur drei von ihnen. Der vierte hatte laut Aussage des Zeugen keinen Gefallen daran gehabt.
»Das habe ich an seinen Augen gesehen«, lautete seine Aussage.
Als die Soldaten bei dem Zeugen angekommen waren, hatte er seine Augen geschlossen, gebetet und auf sein Ende gewartet. Das aber nicht gekommen war, weil der Anführer der Serben auf die Idee gekommen war, die restlichen Liquidierungen ihm zu überlassen. Schaffte er das, wollten sie ihn gehen lassen.
Liv spürte einen Klumpen im Hals, sie sah den Jungen vor sich und daneben ihre eigene zweieinhalb Jahre alte Tochter. Sie kniff die Augen fest zusammen und las weiter. Der Zeuge hatte berichtet, dass er sich zuerst geweigert hatte, sie ihm dann aber eine Pistole an die Schläfe gedrückt und gesagt hatten: »Tu es! Oder du stirbst! Das ist deine letzte Chance.«
Der Zeuge hatte sie weinend angefleht, sie alle drei zu verschonen. Er könne das Kind nicht töten.
»Keiner von uns konnte das, bevor der Krieg ausgebrochen ist«, hatten sie darauf geantwortet. »Inzwischen haben wir alle Kinder getötet.«
Dem Zeugen war eine Pistole in die Hand gedrückt worden, die er weinend dem Jungen an den Kopf gehalten hatte. Auch der Junge hatte geweint und sein Vater um Gnade gebettelt.
»Und dann hat es klick bei mir gemacht«, berichtete der Zeuge.
»Inwiefern klick?«, hatte der Richter wissen wollen.
»Ich weiß nicht, wie es passiert ist, aber ich habe es einfach getan.«
»Was haben Sie getan?«
»Ich habe sie erschossen.«
»Wen?«
»Die Serben. Ich habe stattdessen die Soldaten erschossen. Ich muss sie damit völlig überrascht haben, denn sie schafften es nicht mehr zu reagieren. Ich habe sie einfach erschossen, einen nach dem anderen. Zuerst den, der mir eine Pistole an den Kopf hielt, danach die drei anderen, die hinter ihm standen. Das Schlimmste war, dass es sich gut angefühlt hat.«
»Und was haben Sie dann gemacht?«
»Wir sind gelaufen. Ich habe den Jungen auf den Arm genommen und bin zusammen mit seinem Vater die ganze Nacht über durch den Wald gelaufen. Bis wir von einem LKW, der auf dem Weg zum Flüchtlingslager in Tuzla war, aufgelesen wurden. Dort haben wir erfahren, was in unserer Stadt geschehen war.«
»Warum haben Sie sich entschieden zu fliehen?«
»Als die Stadt gestürmt wurde, nahmen die serbischen Kräfte die niederländischen UN-Soldaten als Geiseln und drohten damit, alle zu töten, die nicht mit ihnen zusammenarbeiteten. Die serbischen Soldaten verbreiteten das reinste Chaos. Häuser
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