Ermittlerpaar Moretti und Roland 02 - Suendenspiel
sein.«
Liv konnte ihr nur Recht geben. Außerdem untermauerten die Worte der Frau ihren eigenen Eindruck von dem Jungen.
»Wir versuchen, so viel wie möglich über Esad Nuhanovic zu erfahren«, sagte sie dann. »Gibt es irgendetwas, das Sie uns mitteilen möchten? Etwas, das Ihnen aufgefallen ist? Leute in seinem Umfeld, irgendetwas Merkwürdiges?«
Die Haushälterin schüttelte den Kopf.
»Nein, da fällt mir nichts ein«, sagte sie. »Er war ein guter Arbeitgeber. Ich konnte meine Arbeit in Ruhe erledigen. Er hat sich nie eingemischt. Und ich konnte kommen und gehen, wie es mir passte. Das Geld lag jeden Ersten in einem Umschlag auf dem Küchentisch. Die meiste Zeit über war er in seiner Praxis, wo er zusammen mit Hanne gearbeitet hat. Ich konnte mein eigenes Tempo einschlagen, und er hat sich nie beschwert.«
Liv blickte auf.
»Hanne?«
»Seine Sprechstundenhilfe. Sie hat die Patienten empfangen, die Termine gemacht und so weiter. Wir haben manchmal miteinander geredet und hinten auf der Küchentreppe zusammen eine geraucht.«
Liv notierte sich den Namen.
»Aber Sie sollten noch eine Woche warten, bis Sie Kontakt zu ihr aufnehmen. Sie und ihr Mann sind für zwei Wochen in den Alpen zum Skifahren. Wenn Sie mich fragen, war sie ein bisschen verliebt in Herrn Nuhanovic, sie hat ihn ganz sicher nicht umgebracht.«
Liv blickte auf und fragte, ob da was gelaufen sei und ob ihr Mann deshalb eifersüchtig auf Esad gewesen sein könnte.
Marie Bergman lachte herzlich.
»Esad hatte nur Augen für seine Arbeit. Für derartige Freuden – und auch für andere – hatte er nie Zeit. Er war ein sehr ernsthafter Mann.«
Liv dachte eine Sekunde lang an Safet und war nicht überrascht. Er war ein sehr pflichtbewusster Schüler und sein Gesicht strahlte eine solche Ernsthaftigkeit aus, wie Liv sie noch nie bei Jungen seines Alters gesehen hatte. Vielleicht kein Wunder, dass er bei einem Vater, der nie Zeit für Spaß hatte, derart schwermütig geworden war.
»Er ist ein guter Junge«, unterbrach Marie Bergman ihre Gedanken.
Liv sah sie fragend an. Wie meinte sie das?
»Sie denken doch an den Jungen, an Safet, nicht wahr? Das erkenne ich an Ihrem Blick. Wenn Sie mich fragen, weckt der Knabe in allen Frauen Muttergefühle. Der arme Junge, aufgewachsen ohne Mutter und mit einem Vater, der nie Zeit für ihn hatte. Geflohen aus einem Krieg. Es gibt wohl keine Frau auf der ganzen Welt, die ihn nicht in ihre Arme nehmen wollte. Und diese Augen.«
Marie Bergman schnalzte mit ihrer Zunge.
»Bei den Mädchen wird er leichtes Spiel haben, das ist absolut sicher.«
Sie sah zu Liv.
»Aber irgendetwas ist nicht so, wie es sein sollte. Und jetzt hat der Arme seine beiden Eltern verloren«, fuhr sie seufzend fort.
»Wie meinen Sie das? Was ist nicht so, wie es sein sollte?«, wollte Liv wissen.
Marie Bergman sah nachdenklich aus.
»Ja … also …«, sie dachte ein paar Sekunden nach.
Liv wartete geduldig.
»Die waren … also ich habe mich immer darüber gewundert, wie die beiden zusammengelebt haben.«
Sie schüttelte den Kopf über sich selbst.
»Nein, bestimmt ist das nicht wichtig, vielleicht ist das heute in den meisten Familien so. Auf mich hat das aber immer so … ich weiß nicht … verkehrt gewirkt.«
Marie Bergman nickte entschlossen.
»Was genau?«
»Dass Vater und Sohn nie zusammen waren. Dass sie nie zusammen gegessen oder gesprochen haben. Und sich jeder der beiden immer in seinem Teil des Hauses aufgehalten hat.«
»Lag das nicht einfach daran, dass beide einfach zu viel zu tun hatten? Das ist heute in vielen Familien so«, fragte Liv.
»Nein, da war mehr als das.«
»War das denn immer schon so?«
Marie Bergman nickte und erklärte, dass sie in der ganzen Zeit, die sie jetzt bei ihnen war, nicht einmal miteinander geredet hätten. Jedenfalls nicht, wenn sie dabei gewesen war. Und der eine wusste nie, was der andere tat.
»Es war so, als lebten die beiden ihre ganz eigenen Leben«, sagte sie.
»Waren sie zerstritten?«, fragte Liv und dachte daran, dass auch ihr die merkwürdige Beziehung der beiden aufgefallen war.
Marie Bergman schüttelte den Kopf. »Man ist nicht über Jahre hinweg mit seinem Sohn zerstritten. Das liegt tiefer, es gibt da etwas, das Sie und ich wahrscheinlich nie verstehen können«, sagte sie und machte eine kurze Pause, bevor sie weiterredete.
»Nicht dass sich Esad nicht um seinen Sohn gekümmert hätte, das hat er. Wenn etwas in der Schule war, irgendeine
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