Erntedank
wir, du weißt schon. Bis gleich.«
Nachdem er aufgelegt hatte, genügte ein Satz zu Hefele und beide prusteten erneut los. Mit einem Blick aufs Handy sagte er: »Der Herrgott hat schon einen großen Tiergarten.«
***
Rund zehn Minuten später betraten Kluftinger und Hefele die Betriebskantine einer Papierfabrik gleich neben dem Revier. Die Polizei verfügte über keine eigene Küche und so fanden sich viele Beamte hier zu einem günstigen Mittagessen zusammen. Sogar der Speiseplan wurde bei ihnen verteilt und ausgehängt.
Kluftinger kniff die Augen etwas zusammen, um seine Kollegen auszumachen. Die Kantine hatte den Charme einer großen Lagerhalle und vermutlich war sie das auch einmal gewesen. Ramponierte, braune Resopaltische und Stahlrohrstühle mit orangefarbenen Plastikschalen als Sitzfläche gaben dem Raum etwas Provisorisches. Und es war wie immer sehr laut. Unzählige Stimmen tönten durcheinander, Stühle quietschten schrill auf dem glatten, weinroten Linoleumboden, alles begleitet von lautstarkem Geschirrklappern. Die Kantine war nicht mehr ganz so voll wie Schlag zwölf, aber es waren immer noch sehr viele Menschen hier, die meisten in blauen, schmutzigen Latzhosen.
»Mahlzeit« war wie immer das erste Wort, das ihm entgegengeschmettert wurde, kaum, dass er die Kantine betreten hatte. Er brummte irgendetwas Unverständliches zurück, denn er hatte im Lauf seiner beruflichen Karriere eine handfeste Abneigung gegen dieses Wort entwickelt. Am Anfang hatte es ihm noch gar nichts ausgemacht, es gehörte eben dazu. Doch je länger er bei der Polizei arbeitete, desto unerträglicher fand er es. Er hatte im Laufe seiner Karriere Menschen kennen gelernt, die ab halb zehn Uhr in der Früh vom »Guten Morgen« ansatzlos zu »Mahlzeit« wechselten und damit, bis zur endgültigen Verabschiedung in den Feierabend, den Rest des Tages bestritten. Mit dem psychologischen Feingespür, das er sich im Kripodienst angeeignet hatte, glaubte er auch eine Erklärung gefunden zu haben: Es war für die meisten Menschen unerträglich, Kollegen auf dem Flur zu begegnen und nichts zu haben, was sie ihnen hätten sagen können. Deswegen hatte irgendwann einmal jemand dieses Wort erfunden, das praktisch endlos wiederholt werden konnte, während »Hallo« oder »Grüß Gott« nur einmal pro Tag als adäquat empfunden wurden. Ein zweites Mal waren sie höchstens mit einem Zusatz wie »Wir haben ja schon, aber doppelt hält besser, also: Servus« möglich. Notfalls konnte dies mit einem »So, beim dritten Mal kostet’s was, gell?« erweitert werden. Aber dann war Schluss.
Nur »Mahlzeit« kannte keine solche Grenzen, weswegen es fröhlich den Siegeszug durch die Geschäftswelt angetreten hatte. Wohingegen es zu Hause erstaunlicherweise praktisch nicht benutzt wurde. Dort begegnete man sich eben nicht mal zufällig auf dem Gang und kam so in die Verlegenheit, entweder gar nichts zu sagen, was als zu unfreundlich ausschied, einen Gruß zu gebrauchen, was eben nur einmal am Tag möglich war, oder irgendein anderes Zeichen des empathischen Erkennens zu geben
– »Mahlzeit«.
Erschwerend kam noch hinzu, dass »Mahlzeit« nach Kluftingers Dafürhalten nicht mal einen Sinn hatte. Es bedeutete offensichtlich nicht »Guten Appetit«, denn sonst würde es kaum am späten Nachmittag beim Eintreten in ein Büro angesichts am PC arbeitender Kollegen Verwendung finden. Glücklicherweise stand in Kluftingers Abteilung des gehobenen Polizeidienstes das Wort auf der schwarzen Liste, was vor allem daran lag, dass man sich vom inflationären »Gemahlzeite« der uniformierten Kollegen abheben wollte. Der verwirrte Blick eines Kollegen, dessen »Mahlzeit« er mit einem herzhaften »Grüß Gott« begegnete, bereitete ihm manchmal ein geradezu kindliches Vergnügen.
An einem der hinteren Tische nahm Kluftinger einen Arm wahr, der in die Luft gestreckt wurde und winkte.
»Da«, sagte Hefele und zeigte auf Richard Maier, dem der Arm gehörte; neben ihm saß Eugen Strobl. Erst, als er schon am Tisch stand, sah er, dass auch Sandy Henske mitgekommen war, was nur selten passierte. An Hefeles verkrampfter Körperhaltung erkannte er, dass auch er sie bereits entdeckt hatte. Wahrscheinlich würde er während des ganzen Essens wieder kein Wort herausbringen, weil er offenbar dachte, dass durch sein Schweigen seine Schwäche für die Sekretärin so am wenigsten sichtbar würde. Natürlich war genau das Gegenteil der Fall.
Nachdem Kluftinger Platz genommen
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