Erntedank
und vier hintereinander vorbeimarschierenden Polizisten in Uniform, die ein zackiges »Mahlzeit« bellten, erst »Servus«, »Hallo«, »Griaß di« und beim vierten ein vernuscheltes »Du mich auch« erwidert hatte, nahm er den Speiseplan vom Tisch und las die Angebote vor: »Schweinekrustenbraten in Dunkelbiersoße. Goldbarschfilets im Krustenmantel. Kartoffelsalat. Dessert: Zwetschgendatschi. Na also, auf den Winne ist doch Verlass.«
Winne war der Koch, von dem das Gerücht kursierte, er habe einst als Küchenchef in einem Drei-Sterne-Hotel gearbeitet, dann aber wegen der stressigen Tätigkeit in eine Kantine gewechselt. Niemand hatte sich bis jetzt getraut, den unglaublich dicken, immer verschwitzen und missgelaunten Winne nach dem Wahrheitsgehalt dieses Gerüchts zu fragen, was aus Kluftingers Sicht aber auch gar nicht nötig war, da sein Essen in der Regel die Antwort gab – und von einem Sternehotel war aus der nichts rauszuhören. Also eine Küche nach Kluftingers Geschmack.
Als sie nach wenigen Minuten und ein paar Dutzend »Mahlzeits« mit ihren Tabletts zurück am Tisch waren, begann Hefele, vom Besuch in Kaisersmad zu erzählen. Kluftinger hörte ihm eine Weile zu, schweifte dann aber ab, indem er sich wunderte, dass ausgerechnet Hefele, der sonst gerne auch mal eine doppelte Portion Fleisch zu sich nahm, sich für das Goldbarschfilet im Krustenmantel entschieden hatte – das einzig »vegetarische« Gericht, das sich im Übrigen als ordinäres Fischstäbchen entpuppte. Laut und deutlich hatte er vernehmen lassen, dass er zur Zeit auf seine Linie achte. Kluftinger bezweifelte, dass ihm das mit dem frittierten Fisch und der fettigen Remouladensoße gelingen würde, verstand das Ganze aber eher als Anbiederungsmanöver an Sandra Henske, die etwas lustlos in einem kleinen Schälchen Salat herumstocherte.
Als Hefele mit seinem Bericht zu Ende war, legte Kluftinger bereits das Besteck zur Seite und wischte sich mit der Serviette über den Mund. Er war wie immer als Erster fertig; ein Umstand, der ihn im Nachhinein oft ärgerte, wenn er beim Anblick der kauenden Kollegen wieder Hunger bekam. Aber gerade schnell zu essen machte für ihn einen wesentlichen Teil seines Genusses aus.
»Scheint, als ginge ein Racheteufel im Allgäu um«, resümierte Richard Maier Roland Hefeles Ausführungen und erntete dafür erst einen scheelen Blick des Kollegen Strobl und anschließend den Kommentar »Engel«.
»Oh, danke, ich hab dich auch lieb, Blümle«, säuselte Maier zurück und lehnte sich etwas zu Strobl, worauf dieser ihn empört zurückstieß und schimpfte: »Rache-Engel, mein ich. Racheengel heißt das, nicht Teufel.«
»Scheint mir auch so«, pflichtete Kluftinger bei. Dann versicherte er sich, dass die Kollegen nun ebenfalls fertig gegessen hatten, erhob sich und sagte: »So, jetzt hol ich mir noch einen schönen Datschi mit Sahne. Mag noch jemand einen? Ich geb eine Runde aus.«
Mit großem Hallo nahmen die Kollegen an. Nur Hefele rief ihm noch nach, dass er lieber keine Sahne wolle, dafür aber gerne »zwei Stückle« nehme.
»Das viele Fett ist ja so ungesund«, erklärte er Sandy Henske, zu der er jetzt – erstaunlich mutig, wie Kluftinger fand – aufrutschte, nachdem der Platz neben ihr frei geworden war.
»Ohne Sahne, hab ich doch gesagt«, beklagte sich Hefele, als Kluftinger wenig später einen Kuchenteller vor ihm abstellte.
»Ich weiß, das war Absicht. Jetzt pass mal auf, das haben wir gleich.« Mit diesen Worten nahm Kluftinger den Suppenlöffel, den er sich mitgebracht hatte, und kratzte die Sahne fein säuberlich von Hefeles Kuchen, um sie bei seinem obendrauf zu klatschen.
»Jetzt passt’s«, sagte er, als er zufrieden den Sahneturm auf seinem Zwetschgendatschi betrachtete. Dann schob er sich eine Gabel mit einer Ladung im Verhältnis eins zu drei – ein Teil Kuchen, drei Teile Sahne – in den Rachen und schloss für einen kurzen Moment genießerisch die Augen.
»Besser könnt’s meine Mutter auch nicht machen«, lobte er, und als er die irritierten Gesichter seiner Kollegen sah, verbesserte er sich: »Meine … meine Frau, meine ich.« Tatsächlich hatte er es aber schon richtig gesagt, es schien ihm nur gesellschaftlich akzeptabler, im fortgeschrittenen Alter von fünfundfünfzig Jahren nicht mehr vom Kuchen der Mutter zu schwärmen. Tatsächlich war ihr Zwetschgendatschi aber nach wie vor der beste: Die Zwetschgen waren immer saftig und sie nahm immer nur so viele,
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