Erntedank
dass sie den Geschmack des Teigs nicht ganz erschlugen – ein Kardinalfehler, den er häufig bei Obstkuchen konstatieren musste. Die unterste Bodenschicht war immer knusprig und er hatte keine Ahnung, wie sie das machte, denn die darauf folgende Teigschicht, auf die sie die Früchte bettete, war nicht mehr bröselig und noch nicht zu feucht, ihre Konsistenz lag irgendwo zwischen kernig und saftig. Außerdem streute sie auf die Zwetschgen noch ein paar gehobelte Mandeln – genau wie Winne, der Kantinen-Sternekoch. Und die mochte er sogar noch lieber als Butterstreusel, denn die wurden gerne einmal hart. Kluftinger hätte nicht gewusst, wie das Rezept noch zu verbessern gewesen wäre.
Während er ein Stück nach dem anderen genüsslich – in seinem Fall also ohne Pause – in sich hineinschaufelte und auch die übrigen Kollegen zufrieden schwiegen, holte plötzlich Sandy Henske Luft, um eine Frage zu stellen, die ihr, die sich auch dem Kuchen verweigert hatte, beim Beobachten der schmatzenden Kollegen schon eine ganze Weile im Kopf herumgegangen war: »Wie issn das nu: Müssn wir jetzt damit reschnen, dass der Mörder noch’n drittes Mal zuschlägt?«
Wie auf Kommando hörten die vier Kommissare auf zu kauen. Kluftinger verschluckte sich sogar an ein paar Mandelstückchen und hustete so stark, dass es ihm das Wasser in die Augen trieb. Gleichzeitig ließen die Männer ihre Gabeln sinken und sahen sich an, alle ein bisschen blasser als zuvor.
»Kreuzkruzifix«, fluchte Kluftinger heiser.
»Hab isch was Falsches gesacht?«, fragte Sandy irritiert.
Kluftinger schüttelte den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht, Fräulein Henske. Ganz und gar nicht.«
»Du hast sogar was verdammt Richtiges gesagt«, pflichtete ihm Strobl bei und erntete dafür einen bösen Blick Hefeles, der es wohl als seine Aufgabe angesehen hatte, ihr zu erklären, warum sie auf einmal wie gelähmt waren.
***
»Vatter, das Auto hängt fast bis auf die Straße! Du kannst den alten
Karren doch nicht so überladen. Das zieht er ja gar nicht mehr.«
»Der hat schon so viel überlebt, das packt er auch noch.«
Kluftinger drängte seinen Sohn, endlich einzusteigen und schließlich, nachdem er die Außenspiegel dem Beladungszustand angepasst hatte –, die Heckscheibe war durch die Apfelkisten völlig zugestellt – fuhr er vorsichtig rückwärts aus der Garageneinfahrt. Die fiel zur Straße hin leicht ab, weswegen der Auspufftopf mit einem lauten, metallischen Kratzen auf dem Asphalt aufsaß.
»Kreuzkruzifix!«, fluchte Kluftinger.
»Prima, Vatter!«
»Überladen bringt Schaden. Vielleicht war es doch der eine oder andere Apfel zu viel«, räumte Kluftinger kleinlaut ein, setzte den Wagen aber trotzdem, wenn auch noch etwas langsamer, zurück. »Das schauen wir uns nachher an. Da ist bestimmt nix passiert. Fahren wir halt schön langsam, das geht schon.«
Mit Tempo sechzig fuhren sie schließlich von Altusried in Richtung Durach.
So oder so ähnlich lief das jedes Jahr ab. Im Herbst, wenn bei Kluftingers die Erntezeit anbrach, hieß es für alle: Äpfel klauben und Saft einkochen. Ein Ritual, das sie nicht mehr missen wollten. Zwar war einiger Aufwand mit dem selbst gemachten Apfelsaft verbunden, aber der schmeckte wie kein zweiter. Und billiger als der gekaufte war er sowieso, obwohl man den Lohnmoster in Durach, einer der wenigen, bei dem man den Saft der eigenen Äpfel und nicht irgendwelcher grasgrüner »Grotten« bekam, natürlich auch bezahlen musste. Zudem waren der Saft und die daraus von Kluftinger selbst hergestellten Nebenprodukte wie Apfelessig oder Apfelwein ein überaus günstiges Mitbringsel zu jeder Art von Einladung. Sogar Markus hatte in Erlangen immer einen Vorrat an heimischem Saft, den ihm die Eltern bei Besuchen gleich kistenweise mitbrachten.
Als sie hinter Durach von der Hauptstraße zu dem etwas abseits gelegenen Bauernhof mit der angeschlossenen Mosterei abbogen, hatten Vater und Sohn sich bereits den Zorn zahlreicher anderer Autofahrer zugezogen. Ob wegen der starken Rauchentwicklung des altersschwachen Dieselmotors, der hin und wieder kleine schwarze Rußflöckchen ausstieß, oder wegen der niedrigen Geschwindigkeit, hatten sie nicht immer ausmachen können. Kluftinger hatte mit stoischer Ruhe all die beleidigenden Handzeichen, die bösen Gesichter und auch die von den Lippen abzulesenden Flüche ertragen und allenfalls mit einem gemurmelten »Schon Recht, Depp!« quittiert. Als ihn aber an der
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