Erntedank
Kreuzung Richtung Sulzberg ein Anzug tragender BMW-Fahrer durch die heruntergekurbelte Seitenscheibe mit einem Stinkefinger und einem »Du blöder Bauerndepp, fahr doch gleich mit dem Traktor!« bedachte, ließ er sich dazu hinreißen, seinen Dienstausweis mit den Worten »Ihre Nummer hab ich ja« aus dem Fenster zu halten. Der BMW-Fahrer wurde blass und entfernte sich mit quietschenden Reifen.
In der »Mosthalle«, einem kleinen Stadel hinter dem Bauernhaus, in dem die große hydraulische Presse stand, herrschte reger Betrieb. Ein Mann lud gerade eine Milchkanne auf seinen Anhänger, auf dem bereits ein großer Plastiktank stand, der bis zum Rand mit goldgelbem Saft gefüllt war. Zwei junge Männer in Bundhosen, Brüder, wie Kluftinger wusste und aufgrund ihrer Ähnlichkeit unschwer zu erkennen war, schöpften aus der großen Aluminiumwanne den einlaufenden Saft mittels einer Blechkanne in ein Plastikfass, während der »Saftmeister« Helmut Kramer damit beschäftigt war, dünne Matten von trockenen Pressrückständen auf einen großen Haufen zu werfen. Hildegard Kramer, die Bäuerin, fuhr gerade eine voll beladene Schubkarre mit diesem »Presskuchen« aus dem Stadel.
»Grüß Gott, Herr Kluftinger. So, ist es doch mehr geworden, oder?«, sagte sie mit einem skeptischen Blick auf den tiefer gelegten Passat.
»Ja, wir haben uns ein bissle verschätzt. Das schaffen wir aber schon, oder?«
»Ja, ja, Sie sind eh der letzte für heut. Ich muss jetzt bloß in den Stall.«
»Lassen’s sich nicht aufhalten. Gibt’s heut wieder eine Delikatesse für die Viecher, oder?«
»Die fressen den Trester schon gern. Man muss nur aufpassen, dass sie’s nicht verschnellt. Das Zeug gärt im Magen.«
Da die Brüder jetzt wieder Äpfel in den Wasserbottich warfen, in dem die Früchte zuerst gewaschen und von wo aus sie in einen Häcksler gesaugt wurden, der sie zu einem Fruchtbrei verarbeitete, war den beiden Kluftingers klar, dass sie noch eine Weile warten mussten. Deshalb begutachtete Kluftinger senior ausgiebig die Vorrichtung, mit der die gehäckselten Äpfel direkt auf die mit netzartigen Decken ausgelegten Holzböden befördert wurden, die die einzelnen Lagen der Apfelmasse trennten. Er sah fasziniert dabei zu, wie der große Eisenstempel auf das Pressgut niederfuhr und dadurch Sturzbäche von Saft auf den Weg in eine Wanne schickte. In der Zwischenzeit hatte sein Sohn bereits sämtliche Apfelkisten ausgeladen.
»Wenn das mit deinem Studium nichts wird, wirst du Mostpresser. Da kommt man auch über die Runden.«
»Ungefähr einen Monat lang, ja. Das isch ein nettes Zubrot, sonscht nix«, brummte Kramer, der mitgehört hatte.
»Schon klar, er schafft’s ja auch, sein Studium«, grinste Kluftinger etwas verlegen zurück.
»Als Profiler werd ich schon mein Auskommen haben, keine Sorge«, versetzte Markus daraufhin beiläufig.
»Ach so, ja, wenn du meinst, Markus.«
Inzwischen wurde die letzte Lage Äpfel der Brüder gepresst und Kramer forderte Kluftinger auf, nun sein Obst in den Waschbehälter zu kippen. Zusammen mit seinem Sohn hob er die erste Kiste an.
»Als was wirst du nochmal dein Auskommen haben?«
»Als Pro-fi-ler, Vatter. Ich hab beschlossen, Profiler zu werden. Das wollt ich dir die ganze Zeit schon sagen.«
Der letzte Satz und das Gesicht, das sein Sohn dabei machte, ließen in ihm den Verdacht aufkommen, dass er mit dieser Berufswahl nicht zufrieden sein würde.
»Und was ist das ganz genau?«, fragte er misstrauisch nach.
»Profiler. Erstellen von Täterprofilen, wenn dir das mehr sagt«, sagte sein Sohn vorsichtig und ausnahmsweise gar nicht besserwisserisch.
Kluftinger setzte die Kiste ab, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, sah seinem Sohn ins Gesicht und sagte: »Spinnst du?«
»Warum?«
»Du willst zur Polizei und dich mit irgendwelchen abartigen Verbrechern beschäftigen?«
»Und? Dass ich mich mit psychisch Kranken beschäftigen würde, hätte dir klar sein müssen, seit ich mich für mein Psychologiestudium entschieden habe.«
»Schon, aber tu dir das doch nicht an. Mach doch irgendwas Nettes. Bleib an der Uni, werd Professor. Oder Kinderpsychologe.«
Kluftinger fand selbst, dass er sich wie sein eigener Vater anhörte.
»Du machst doch nichts anderes!«, sagte Markus trotzig.
Genau vor diesem Argument hatte sich der Kommissar gefürchtet, denn damit hatte er völlig Recht. Er versuchte trotzdem, ihm etwas entgegenzusetzen.
»Eben. Deswegen weiß ich auch, wie schwer
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