Erntedank
des fremden Pilgrims bald sterben. Allein der Müller lachte nur ob dieser Drohung und erwiderte, der Stein werde ihn doch wohl kaum erwürgen, und jetzt lasse er den Stein erst recht nicht her, und wenn ihm auch hundert Gulden dafür bezahlt würden. Es dauerte aber nicht lange, da wurde der Müller im Walde beim Holzfällen von einer Fichte zu Tode geschlagen, die auf ihn niederfuhr und ihm den Schädel spaltete. «
Kluftinger unterbrach kurz und schaute in die ratlosen Gesichter der Anwesenden, die gebannt zuhörten, dann fuhr er fort:
» Schließlich die Witwe des Müllers, die einen neuen Mann genommen und dem zwei stumme Buben gebar, war desgleichen eigensinnig und gab den Stein nicht her. Als der fremde Pilgrim wieder durch die Gegend von Thingau kam, versprach er die Heilung der kranken Buben, würden sie den Stein nun geben. Der Müller ging drauf ein, und der große Stein ließ sich ganz mühelos heben. Der Pilgrim zerschlug den Stein und in einem Hohlraum fand man säuberlich in Holz geschnitzt die Bildnisse unserer Gottesmutter und die Figur des gekreuzigten Gottessohnes. In kurzer Zeit war der Ölberg errichtet und die Bilder zur Verehrung aufgestellt. Des Müllers Buben aber konnten von da an, wie es der Pilger verheißen hatte, deutlich reden, also daß an ihnen, als den ersten, durch die Bilder Gottes Gnade und Wunder kund ward. Noch immer kann man die Gnadenbilder in der Pfarrkirche zu Oberthingau sehen. «
Als Kluftinger geendet hatte, sagte eine Weile keiner etwas. Maier, dem Strobl mittlerweile flüsternd umrissen hatte, warum sie alle hier waren, war der erste, der das Wort ergriff: »War Ihr Bruder vielleicht Müller? Oder Baustoffhändler – ich meine wegen des Steins?«
Alle Köpfe ruckten herum und schauten Maier mit einer Mischung aus Mitleid und Unverständnis an. Doch Möbius antwortete ohne Umschweife: »Sie haben Recht, zumindest ungefähr. Er ist Bauingenieur.«
Die restlichen Anwesenden waren erleichtert, dass Möbius die Vergangenheitsform in Maiers Frage überhört hatte.
»Meinen Sie, dass es etwas mit seinem Beruf zu tun haben könnte – gab es einen Vorfall, an den Sie sich erinnern?«, hakte Kluftinger nach.
Möbius schüttelte den Kopf: »Ganz sicher nicht. Horst und ich sind nicht nur Brüder, wir sind gute Freunde. Er erzählt mir alles.«
»Wenn Sie die Sage hören – fällt Ihnen eine Parallele zum Leben Ihres Bruders ein? Hat er etwas nicht hergegeben, das ein anderer dringend gebraucht hätte?«
Wieder schüttelte Möbius den Kopf.
»Irgendwas muss es sein. Etwas hier drin weist uns den Weg zu Ihrem Bruder. Bitte, denken Sie genau nach.«
Möbius gab sich sichtlich Mühe. Er legte die Stirn in Falten, schien in den hintersten Winkeln seiner Erinnerung nach einer Antwort zu suchen.
»Ich fürchte … nein. Da ist nichts. Mein Bruder ist nicht sehr wohlhabend. Ich denke nicht, dass er etwas besitzt, was ein anderer so dringend wollen könnte.«
»Na ja, wir dürfen uns vielleicht auch nicht so ganz genau an den Wortlaut halten. Gibt es im übertragenen Sinn etwas, was Ihr Bruder nicht hergeben wollte?«
Möbius schien auch mit dieser Fragestellung wenig anfangen zu können.
»Hat er vielleicht in irgendeiner Situation jemandem etwas verweigert. Nichts Materielles, meine ich. Eine Dienstleistung? Hilfe vielleicht?«
Beim letzten Satz zuckte Möbius zusammen. Es war eine kaum wahrnehmbare Bewegung, aber Kluftinger hatte sie bemerkt.
Der Staatsanwalt schien zu zögern. Kluftinger, der das Gespräch nun allein in der Hand hatte, bohrte nach.
»Herr Möbius, ist es das? Trifft das zu, was ich gerade gesagt habe?«
Möbius zögerte. Er schien etwas zu wissen, gleichzeitig aber innerlich mit sich zu kämpfen, ob er die Information preisgeben sollte.
»Herr Möbius, wir können auch unter vier Augen sprechen, wenn Ihnen das lieber ist. Sollen uns die Kollegen allein lassen?«, fragte Kluftinger, der dabei die anderen fixierte – kein Lachen, nicht einmal ein Grinsen auf ihren Gesichtern.
Möbius blickte in die Runde und nickte. »Ja, das wäre vielleicht besser. Entschuldigen Sie, meine Herren … «
Die Angesprochenen verließen den Raum, nur Kluftinger, Sandra Henske, der Hefele beim Hinausgehen einen wehmütigen Blick zuwarf, und Lodenbacher blieben zurück. Kluftinger sah ihn fragend an. Lodenbacher stand ungerührt da und machte keine Anstalten zu gehen.
»Entschuldigung, Herr Lodenbacher, wenn Sie auch … «, versuchte der Kommissar,
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