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Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
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stand wie angewurzelt da, als der Hund näher kam. Er hörte sein tiefes Knurren, sah die Atemwolken, die aus seiner Schnauze stoben, sah, wie er fünf Meter vor ihm zum Sprung ansetzte. Doch er blieb reglos stehen. Erst ein ohrenbetäubender Knall löste seine Erstarrung. Unwillkürlich riss er die Arme hoch und duckte sich. Als nichts passierte, richtete er sich wieder auf und sah den Hund: Hechelnd lag er vor ihm auf der Seite, ein Bein grotesk nach hinten ausgestreckt, mit einem leisen Wimmern seine Schnauze leckend. Kluftinger blickte mit weit aufgerissenen Augen nach rechts, in die Richtung, aus der das Pfeifen in seinem Ohr kam, die Nachwirkungen des Schusses.
    Dünne Rauchschwaden drangen aus der Waffe, die Hefele in der Hand hielt und nun mit versteinertem Gesicht langsam sinken ließ. Kluftinger nickte ihm dankbar zu. Sie würden es nie erfahren, aber es war gut möglich, dass er ihm in diesem Moment das Leben gerettet hatte.
    Ein, zwei Sekunden nach dem Schuss löste sich auch die Erstarrung der anderen Beamten, dann stürmten sie auf den Eingang des Bauernhauses zu. Noch bevor sie ihn erreicht hatten, wurde die Tür von innen geöffnet und der Richter tauchte als Schattenriss im Türrahmen auf.
    »Stehen bleiben!«, schrie einer der Beamten, doch Hartmann sprintete los.
    »Stehen bleiben oder wir schießen!«, schrie ein anderer Polizist, doch Hartmann schien sie gar nicht zu hören. Seine Augen waren starr auf den Hund gerichtet, der neben Kluftinger lag.
    »Nicht schießen«, rief Kluftinger, der erkannte, dass es der Richter nicht auf ihn abgesehen hatte.
    »Tyras! Um Gottes willen«, schrie Hartmann mit schriller, sich überschlagender Stimme. Er war nur noch wenige Meter vom Kommissar entfernt, dann lief er gegen eine Wand aus sechs Armen, die ihn mitten im Lauf stoppte. Wie ein Besessener tobte der Richter, strampelte, jaulte, versuchte sich dem Griff der Polizisten zu entziehen.
    »Beruhigen Sie sich, verdammt«, schrie der Beamte, der ihn von hinten unter den Achseln gepackt hatte. Hartmann zappelte noch einige Sekunden im harten Griff der Polizisten, dann erschlaffte sein Körper und er begann zu weinen.
    Kluftinger seufzte: Von weinenden Männern hatte er allmählich wirklich genug. Er ging einen Schritt auf den Richter zu und sagte: »Sie sind festgenommen wegen des Mordes an Gernot Sutter und Michaela Heiligenfeld.« Er sagte die Worte ohne Emotion, aber in seinem Inneren brodelte es. Er verachtete den Richter dafür, dass ausgerechnet er, ein Mann des Gesetzes, sich außerhalb des Rechtssystems gestellt hatte. Es waren diese Vorfälle, die dem Vertrauen der Öffentlichkeit in das Rechtssystem, an das Kluftinger glaubte, irreparable Schäden zufügten. Als er ganz nah beim Richter stand, fragte er mit einer Schärfe, die ihn selbst überraschte: »Wo ist Horst Möbius?« Noch einmal versuchte Hartmann, sich dem Griff der Beamten zu entziehen, doch als er einsah, dass es keinen Sinn hatte, brach er zusammen.
    Die Polizisten lockerten ihren Griff und ließen ihn zu Boden gleiten. Was nun passierte, überraschte Kluftinger. Er hatte gedacht, dass ein Geständnis aus dem verzweifelten Mann herausbrechen würde, eine Art Beichte, wie er es nach solchen Zusammenbrüchen schon zur Genüge erlebt hatte. Das weinerliche Flehen um Verständnis, um Gerechtigkeit, die die Täter ihren Opfern verwehrt hatten, als sie sich noch stark und als Herr der Lage fühlten.
    Doch der Richter tat nichts dergleichen. Stattdessen rutschte er auf den Knien zu seinem am Boden liegenden Hund, der sich inzwischen gar nicht mehr rührte. Als Hartmann begriff, dass er tot war, sah er Kluftinger mit stierem Blick an und schrie: »Mörder!«
    Der Schrei ging dem Kommissar durch Mark und Bein. Ausgerechnet Hartmann hieß ihn einen Mörder. Er schluckte. »Bringt ihn rein«, brachte er mit belegter Stimme hervor und sah zu, wie ihm die Kollegen Handschellen anlegten. Dann ging auch er auf das Haus zu und blieb nach wenigen Schritten bereits wieder stehen. Im Licht des Flurs, das durch die geöffnete Tür nach draußen drang, stand ein Schatten. Die ausgemergelte Gestalt erkannte er als Hiltrud Urban. Was ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagte, war die Art, wie sie dastand. Zwei Polizisten hatten sich links und rechts neben ihr postiert, wussten aber offenbar nicht so recht, wie sie weiter vorgehen sollten. Denn Frau Urban stand einfach nur da und starrte nach draußen. Völlig regungslos. In diesem Moment graute es dem

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