Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
Vom Netzwerk:
noch gar nicht gesehen. Der Mörder hat euch was dagelassen.« Kluftinger vermutete, dass Renn damit eine besonders deutliche Spur meinte und freute sich schon ein wenig, doch Renn dämpfte diese Vorfreude postwendend.
    »Nein, wirklich, ich meine, er hat für euch was hinterlassen.«
    Kluftinger schluckte. Nicht schon wieder. Nicht noch ein Zeichen. Die Krähe hatte ihm schon völlig gereicht. Er versuchte, sich innerlich auf alles gefasst zu machen.
    Renn ging um das Auto herum und machte vor der Beifahrertüre halt.
    »Einen Moment«, sagte er. Dann öffnete er noch einmal sein Köfferchen, nahm einen Pinsel heraus, bestrich damit den Türgriff und legte ihn wieder zurück. Anschließend griff er sich ein breites, durchsichtiges Klebeband, riss einen Streifen ab und befestigte ihn auf der eben bepinselten Stelle. Sofort zog er ihn wieder ab, klebte ihn auf ein Stück Pappe und beschriftete das Ganze mit schwarzem Filzstift. Strobl und Kluftinger sahen interessiert zu. Sie beneideten Renn und seine Kollegen nicht um ihre Arbeit, denn sie trugen eine große Verantwortung. Nichts durfte übersehen werden. Aber manchmal hatten sie es auch einfacher. Denn sie sammelten zwar die Spuren und analysierten sie; aus den Ergebnissen mussten sich die Kommissare aber dann selbst einen Reim machen.
    »Bitte«, sagte Renn, nachdem er das Köfferchen wieder geschlossen hatte, und hielt Kluftinger einen durchsichtigen Plastikhandschuh vor die Nase. Der Kommissar fragte nicht, sondern zog ihn sich einfach an. Er wartete, was weiter passieren würde. Renn öffnete die Beifahrertür, machte eine einladende Geste und sagte: »Für dich.« Und nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: »Glaube ich wenigstens.«
    Kluftinger blickte ins Wageninnere. Er sah sofort, was Renn meinte. Auf dem Beifahrersitz lag ein Zettel. Er sah Strobl an, doch der starrte wie gebannt auf das Stück Papier. Es war etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel. Und der Kommissar erkannte auch gleich den Grund dafür, dass Renn annahm, der Mörder habe ihn für sie hinterlassen: An dem Zettel klebte Blut. Kluftinger streckte die rechte Hand mit dem Handschuh aus, griff sich das Papier und hielt es sich mit fast durchgestreckten Armen vor die Augen. Er würde bald eine Brille brauchen, fürchtete er, in letzter Zeit hatte er immer mehr Schwierigkeiten beim Lesen. Aber noch ging es so.
    Das Papier war auf zwei Seiten ausgerissen, als habe jemand ganz schnell einen Schmierzettel gebraucht. Kluftinger las das, was jemand dort mit blauem Kugelschreiber hinterlassen hatte: »V/7:3.(22)«.
    Kluftinger seufzte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Aber jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Jemand spielte mit ihnen Katz und Maus. Er blickte zu seinen Kollegen. Strobl wirkte geschockt. Renn dagegen nickte Kluftinger mit einem Lächeln zu.
    »Zu viel versprochen?«, fragte Renn.
    Unzählige Gedankenfetzen schossen Kluftinger durch den Kopf und verdichteten sich zu einem großen Fragezeichen. Selten hatte er sich so ratlos gefühlt. Er reichte Renn das Papier kommentarlos, ging an ihm vorbei und stapfte in den Wald, als würde er nach etwas Ausschau halten. Eigentlich wollte er aber vor den Kollegen nur seine momentane Hilflosigkeit verbergen.
    Er sah sich um. Die dichten Nebelschwaden des Herbstmorgens hatten sich fast überall verzogen, nur hier im Wald hielten sich noch ein paar hartnäckige Schlieren. Sie krochen über den Boden und ließen das Laub, das sich dort schon angesammelt hatte, grau aussehen. Links führte ein kleiner Feldweg tiefer in den Wald hinein und wurde bereits nach wenigen Metern vom Dunst verschluckt. Genau an dieser Stelle, nur noch schemenhaft erkennbar, stand ein Wegkreuz, ein Marterl, wie man hier sagte. Es mochte etwa einen Meter hoch sein, schätzte Kluftinger, und stand genau zwischen zwei Laubbäumen. Der Kommissar bekam eine Gänsehaut. Er schlug den Kragen seines Mantels hoch, vergrub die Hände in den Taschen und ging zurück zum Wagen.
    ***
    Wieder in seinem Büro, gab sich der Kommissar wortkarg. Auf die Frage, ob er irgendetwas habe, gab er seiner Sekretärin nur ein Seufzen zur Antwort. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, drehte sich mit dem Bürostuhl um hundertachtzig Grad und starrte auf die Regalwand. Er las die beschrifteten Rücken der grauen Leitzordner, die dort nebeneinander standen. Wie sehr er sich doch wünschte, einen der vermeintlich langweiligen Fälle, über die er oft so schimpfte, auf dem Tisch zu haben. »Wenn doch

Weitere Kostenlose Bücher