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Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
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einen Verband angelegt hatte, erhob er sich, lupfte seine Baseballkappe, kratzte sich am Kopf und sagte im Vorbeigehen leise zu Kluftinger: »Ich fürchte, er wird durchkommen.«
    Damit hatte er sofort das Eis gebrochen und Kluftinger freute sich seither immer, mit Böhm zusammenzuarbeiten.
    Weswegen er ihm die Fahrt nach Memmingen und den Gang in die Leichenkammer zumuten wollte, begriff der Kommissar allerdings nicht. Eigentlich war es auch egal: Wusste er nicht von seiner Schwäche, hatte Kluftinger kein Interesse daran, an diesem Zustand etwas zu ändern. Wusste er es und wollte den Kommissar nur herausfordern und sehen, wie er mit der Situation fertig werden würde, so war er bereit, als Sieger aus diesem Zweikampf hervorzugehen.
    Entschlossen, aber sehr, sehr langsam erhob sich der Kommissar und machte sich auf den Weg nach Memmingen.
    ***
    Die Pathologie befand sich im Keller des Klinikums und mit jeder Stufe, die der Kommissar hinunterging, glaubte Kluftinger stärkeren süßlichen Geruch wahrzunehmen. Natürlich konnte man die Leichen nicht riechen, aber er bildete es sich ein. Alles, was tatsächlich wahrnehmbar war, war der starke, fast beißende Geruch von Desinfektionsmitteln.
    Hier hätte man sicher bedenkenlos vom Boden essen können, so sauber war es. Kluftinger schluckte zweimal, um die Übelkeit, die diese Vorstellung bei ihm hervorrief, zu unterdrücken. Vor der schweren Türe aus gebürstetem Metall blieb er stehen, holte noch einmal tief Luft und ging mit dem breitesten Grinsen, zu dem er fähig war, hinein.
    Im Innern des weiß gekachelten Raumes erstarb sein Grinsen schon nach wenigen Sekunden. Das erste, was er wahrnahm, waren die Edelstahltische, die, wie er wusste, in der Mitte einen Ablauf hatten, um Flüssigkeiten aufzunehmen. Sein Magen krampfte sich zusammen. Drei solcher Tische standen in dem Raum, zwei davon leer. Auf dem mittleren aber lag ein mit einem Tuch bedeckter Körper. Neonröhren leuchteten den Raum bis in den letzten Winkel aus, überall standen Wagen mit allerlei Skalpellen und Zangen herum. Weiße Medizinschränke mit Milchglasscheiben säumten die Wände des quadratischen Raumes.
    Am gegenüberliegenden Ende saß ein Mann mit dem Rücken zu Kluftinger, der sich offenbar über ein Instrument beugte, von dem Kluftinger annahm, dass es ein Mikroskop sei. Er erkannte Böhm sofort, denn selbst hier trug der Pathologe seine Baseballkappe. Sie hatte dieselbe Farbe wie seine grüne Mediziner-Kleidung, was Böhm offenbar für einen gelungenen Mode-Gag hielt.
    Kluftinger räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen. »Komm ruhig her«, sagte Böhm, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen. Kluftinger setzte sich langsam in Bewegung, seinen Blick starr geradeaus gerichtet. Als er auf der Höhe der mittleren Liege ankam, wanderten seine Pupillen nach links und hefteten sich auf das Tuch, das einen leblosen Körper verbarg. Kluftinger verfluchte sich, dass er sich auf dieses Spiel eingelassen hatte. Er hatte einfach nicht die Nerven dafür. Besonders nicht nach dem letzten Tag. Er schwitzte, und das, obwohl es in dem sterilen Raum sehr kühl war.
    Er zwang sich, wieder geradeaus zu sehen, und überbrückte die letzten Meter zu Böhm mit drei großen Schritten.
    »Danke, dass du gleich gekommen bist«, sagte der, nachdem er Kluftinger neben sich bemerkte. Endlich drehte er sich um und grinste ihn mit einer makellos weißen Zahnreihe an.
    Kluftinger musterte ihn misstrauisch, konnte aber keine Anzeichen dafür erkennen, dass er ihn absichtlich und in vollem Bewusstsein von Kluftingers Problem hierher gelotst hatte. »Schon gut, was gibt’s denn?«, fragte der Kommissar und versuchte, wieder sein unbekümmertes Grinsen aufzusetzen, was ihm aber nur mit einem Mundwinkel gelang und so zu einer einigermaßen verunglückten Grimasse entglitt, die er noch dazu einen Augenblick zu lange aufrecht erhielt.
    »Du erinnerst dich doch noch an gestern, als wir den Toten schon verpacken wollten … «
    ›Verpacken‹ – das Wort hallte in Kluftingers Kopf nach. Das lange Zusammensein mit Leichen schien auch bei Böhm Spuren zu hinterlassen. Ihm wurde heiß. Dennoch schaffte er es, den zweiten Mundwinkel zum ersten zu gesellen und so seinem Grinsen die Symmetrie wiederzugeben.
    »Natürlich kann ich mich daran erinnern«, antwortete er lauter und fröhlicher, als er eigentlich wollte.
    Böhm stutzte kurz und fuhr dann fort: »Also, da hast du doch was gefunden.«
    Kluftinger lächelte und

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