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Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
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nur mal was Richtiges los wäre!«, pflegte er oft zu sagen. Jetzt war etwas Richtiges los, und er hätte einiges darum gegeben, wenn es nicht so gewesen wäre.
    Das Klingeln des Telefons riss ihn derart abrupt aus seinen trüben Gedanken, dass er zusammenzuckte. Auf dem Display konnte er lesen, dass es Georg Böhm war, der anrief. Deswegen zögerte er auch nicht und nahm den Hörer noch vor dem zweiten Klingeln ab. »Georg? Servus, was gibt’s?«
    »Ich hab hier ein paar Sachen, die solltest du dir unbedingt ansehen … «
    Kluftinger stutzte. Böhm klang ungewöhnlich ernst. Allerdings war er über eine andere Tatsache gestolpert. Er wollte, dass er sich etwas ansah. Wusste er denn nicht … ?
    »Kommst du nach Kempten?«, fragte der Kommissar zur Sicherheit nach.
    »Nein, sorry, da müsstest du schon zu mir kommen. Wenn es dir irgendwie möglich ist, dann fahr her. Du musst dir das ansehen. Du weißt ja, wo du mich findest«, antwortete Böhm und legte auf.
    Ja, Kluftinger wusste, wo er den Pathologen fand. In Memmingen, im Keller des dortigen Klinikums, bei den Leichen, also genau an dem Ort, den er fürchtete wie der Teufel das Weihwasser. Dort arbeitete Böhm, der als Pathologe dem Landgericht Memmingen zugeordnet war – eine Organisationsstruktur, über die sich Kluftinger wie über vieles andere bei staatlichen Behörden im Allgemeinen und der Polizei im Besonderen schon lange nicht mehr wunderte.
    Es gab nur zwei Möglichkeiten: Böhm wusste nichts von Kluftingers Leichenunverträglichkeit. Eine denkbare Variante, immerhin war der junge Arzt erst seit ein paar Jahren als Pathologe in Memmingen. Andererseits bezweifelte Kluftinger diese These doch stark, denn er wusste, dass, auch wenn – oder gerade weil – niemand darüber redete, seine Pathologie-Phobie geradezu legendär war. Das führte ihn zu These zwei: Böhm wusste es und wollte den Kommissar gezielt provozieren. Auch das war eine durchaus denkbare Variante, denn die beiden zogen sich gegenseitig gerne auf. Kluftinger konnte einem Kollegen kaum ein größeres Kompliment machen, denn nur mit jemandem, der ihm wirklich sympathisch war, ließ er sich auf solche Spielchen ein. Und er hatte Georg Böhm vom ersten Augenblick an gemocht.
    Er erinnerte sich noch genau an ihr erstes Zusammentreffen: Es musste so vor drei oder vier Jahren gewesen sein. Ein Betrunkener hatte sich in seiner Wohnung verbarrikadiert und ballerte mit einem Gewehr um sich. Erst hatte man eine Geiselnahme vermutet, weil er immer wieder von einer Frau sprach, die angeblich bei ihm war; später stellte sich jedoch heraus, dass er damit seine Freundin meinte, die ihn kurz zuvor verlassen hatte. Jedenfalls waren sie mit einigen Streifenwagen vor Ort. Auch Kluftingers damaliger Vorgesetzter, Polizeirat Reitemann, sein Vorgänger im Amt des Leiters des »K1«, des Kommissariats, das die Gewalt- und Tötungsdelikte zu behandeln hatte, war dabei gewesen. Kluftinger hatte schon einige Zeit versucht, den Betrunkenen, mit dem er Telefonkontakt hatte, zur Aufgabe zu bewegen. Und er hatte es tatsächlich geschafft. Als der Mann dann rauskam, hielt er die Waffe weit über den Kopf gestreckt. Da rief Kluftinger ihm zu, er solle sie wegwerfen. Nicht langsam weglegen oder dergleichen. Einfach wegwerfen. Bei dieser Aktion löste sich ein Schuss – und traf seinen Vorgesetzten. Nur ein harmloser Streifschuss, nicht einmal eine Fleischwunde. Es blutete leicht, das war alles. Allerdings nicht für seinen Chef. Nachdem er sich von dem ersten Schock erholt hatte, ergoss sich aus seinem Mund eine Schimpftirade über den Kommissar, die selbst dem um einen Fluch selten verlegenen Altusrieder die Schamesröte ins Gesicht trieb. Sein Chef hatte ihm diesen Zwischenfall nie verziehen und selbst bei seiner offiziellen Verabschiedung kurze Zeit später mit den Worten »Nachdem ich jetzt ja doch lebendig aus dem Dienst ausscheiden darf … « darauf angespielt. Insofern war Kluftinger wirklich froh gewesen, dass er dann an seine Stelle getreten war und eigentlich nur noch Lodenbacher über sich hatte, auch wenn er ihn manchmal im Geiste mit ebenfalls nicht zitierfähigen Ausdrücken belegte.
    Jedenfalls war Böhm damals auch vor Ort gewesen, weil er auf seinem standardmäßigen Ausbildungsweg durch die verschiedenen Abteilungen auch bei den Streifenbeamten Station machte. Als einziger Arzt am Unfallort oblag ihm natürlich die Erstversorgung des wie ein Rohrspatz schimpfenden Chefs. Nachdem er ihm

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