Erntedank
lockere Sprüche auf den Lippen.
Kluftingers Adrenalinspiegel stieg, als Willi den Deckel der Kiste hob. Seine Wangen fingen an zu glühen, wurden rot, wie immer, wenn er angespannt war.
Zunächst räumte der Spurensicherer einige Bögen schwarzen Kartons aus der Kiste, auf denen transparente Klebebänder hafteten.
»Jede Menge Tesafilm«, seufzte Willi, »das heißt wieder eine Weile am Mikroskop sitzen und Fasern zählen.«
Willi wühlte weiter zahllose Plastikbeutel aus der Kiste, bis er schließlich den mit der Handtasche gefunden hatte. Er ging damit zu einem kleinen Tischchen und Kluftinger folgte ihm. Er wollte jetzt nichts verpassen. Er sah Willi über die Schulter, aber schon bewegte sich der wieder zu einer Arbeitsplatte, auf die er nun den Inhalt der Tasche auszubreiten begann. Kluftinger ging ihm nach und handelte sich dabei einen bösen Blick Willis ein, der sich durch allzu viel körperliche Nähe schnell bedrängt fühlte. Kluftinger verstand sofort und wich etwas zurück.
Mit spitzen Fingern beförderte Willi einige Gegenstände ans Tageslicht: einen Lippenstift, ein Schminkmäppchen, ein Feuerzeug, mehrere Bonbons verschiedener Marken, zwei Päckchen Taschentücher.
»Klassische Weiberutensilien, würd ich sagen«, kommentierte Willi gelassen. »Nichts Spektakuläres dabei, oder? Was die Frauen immer mit ihren Taschen haben. Als ob man das nicht alles in die Hosentasche oder die Jacke stecken könnte, wie es unsereiner auch macht.«
»Hm-hm.« Kluftinger war nicht nach Smalltalk zumute.
»Vielleicht haben sie die Dinger auch nur, um uns zu demütigen.«
»Hmm?«, brummte Kluftinger, der nicht richtig zugehört hatte. Willi legte die Tasche beiseite und holte tief Luft. Kluftinger fürchtete, dass nun eine der bisweilen fast philosophischen Betrachtungen seines Kollegen über das Alltagsleben folgen würde, die Kluftinger eigentlich durchaus schätzte – unter anderen Umständen jedenfalls.
»Schau dich doch mal am Wochenende in der Stadt um: Da siehst du massenhaft Männer in gesetztem Alter, die Damenhandtaschen tragen! Meistens stehen die vor einem Geschäft oder in einer Ecke der Wäscheabteilung herum. Sie müssen die Taschen ja ›nur mal schnell halten‹, weil ihre besseren Hälften gerade in der Umkleidekabine weilen oder die Sonderangebotstische durchwühlen. Irgendwie entmannt wirken die mit ihren femininen Täschchen. Am schlimmsten sind aber die dran, die die großen Ledertaschen tragen müssen, weil die Frauen sie mit Einkäufen vollgepackt haben und nun nicht mehr rumschleppen wollen.«
Kluftinger lächelte gezwungen.
Willi merkte, dass sein Exkurs nicht auf Interesse stieß, und wandte sich wieder dem Inhalt der Tasche zu.
»So, da hätten wir noch einen Rezeptblock von Frau Dr. Heiligenfeld. Stand denn auf der Visitenkarte, dass sie Ärztin war? Ich dachte, sie war Autorin … «
Auch Kluftinger konnte sich keinen Reim darauf machen. Wieder meldete sich das unbestimmte Gefühl, von einer Dr. Heiligenfeld schon einmal gehört zu haben. Willi reichte Kluftinger den Block, den die Tote wohl nur für Notizen genutzt hatte. Auf den ersten Seiten fanden sich einige Telefonnummern, was dann kam, wirkte wie die Mitschrift eines Seminars für Homöopathie: Kluftinger wusste, dass man bei dieser Art von Naturheilkunde mit Globuli und Potenzen hantierte, und diese Wörter tauchten mehrmals auf, wenn auch die Handschrift schwer zu entziffern war. Er war noch damit beschäftigt, zu überlegen, inwiefern diese Spuren verwertbar seien, und beschloss, alsbald alle Telefonnummern überprüfen zu lassen, da gab Willi ein vielversprechendes Raunen von sich.
»Hast du noch was?«, fragte Kluftinger aufgeregt.
»Ich würde mal sagen, das erinnert uns an was, oder?«, triumphierte Kluftingers Kollege und hielt eine Fotografie hoch. Kluftinger verstand das als Aufforderung, sie näher zu betrachten, und nahm sie ihm aus der Hand, was Renn wiederum veranlasste, sie ihm blitzschnell wieder zu entreißen.
»Herrgott, Klufti. Das Berühren mit den Pfoten ist verboten. Nur mit den Augen anschauen!«
Nur Willi durfte ihn so zurechtweisen.
»Schon gut, Herr Lehrer«, erwiderte Kluftinger gequält und beugte sich dann tief über das gefundene Foto, das Renn mit der Rückseite nach oben auf den Tisch gelegt hatte.
»Kreuzkruzifix!«, entfuhr es ihm. Auf dem Papier stand ohne weiteren Kommentar eine Zahlenkombination: III/2:4.(32). Sie las sich ähnlich wie die, die sie in Sutters Auto
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