Erntedank
Schreibbüro nur Kassetten angenommen wurden. Heute aber schien sein »Wunderwerk der Digitaltechnik«, wie er es erst bezeichnet hatte, ein ernst zu nehmendes Problem zu haben: Zwei Batterien lagen auf Maiers Schreibunterlage und der Beamte hatte alle losen Teile des Diktiergeräts entfernt. Während er mit einer Hand nervös auf das Gerät klopfte, blätterte er mit der anderen in einer kleingedruckten Gebrauchsanweisung. Ständig murmelte er irgendetwas vor sich hin und schien Kluftingers Erscheinen gar nicht zu bemerken. Stattdessen kam nun Strobl auf ihn zu, zog die Brauen hoch, zeigte mit dem Kopf in Richtung Maier und schüttelte dann mehrmals den Kopf. Kluftinger nickte nur. In diesem Fall verstanden sie sich ganz ohne Worte.
»Stell dir vor, wer unsere Tote ist! Du wirst überrascht sein!«
»Frau Heiligenfeld«, sagte Kluftinger, »das hab ich doch vorher schon gesagt.«
»Dr. Heiligenfeld, die Frauenärztin.«
»Ich weiß. Hast du nicht zugehört, als ich ihre Karte vorgelesen habe?«
»Doch, doch. Ich meine: die Frauenärztin. Aus Füssen. Die Abtreibungsärztin!«, versetzte Strobl ungeduldig.
»Hör auf!«, klang Kluftinger nun endlich wirklich überrascht. Jetzt war auch bei ihm der Groschen gefallen. Der Name war ihm ja gleich so bekannt vorgekommen. »Stimmt. Das war damals eine große Sache. So in den Achtzigern, oder? Drum also jetzt Autorin.«
Und nach einer kurzen Denkpause fügte er hinzu: »Dann ist sie ja sozusagen prominent. Das auch noch! Ihr klärt bitte alles Nötige zum Privatleben. Habt ihr Angehörige erreicht?«
»Sie lebt allein. Da kommen wir wohl erst morgen weiter.«
»Alles klar.«
Dann hielt Kluftinger seinem Kollegen das Foto aus der Tasche unter die Nase: »Sieh dir das mal an, Eugen.«
Der nahm es in die Hand und besah es sich genau. Derweilen durchbrach von hinten ein verzweifeltes »Herrgottsakra« die Stille. Maier hatte wohl tiefergehende technische Probleme.
»Sagt mir nix.« Strobl schüttelte den Kopf.
»Frag doch mal an Pfarrer«, riet er. Aus Strobls Hand wurde die Abbildung an Hefele gereicht, der sie in Ermangelung seiner Lesebrille weit vom Körper weghielt.
»Vielleicht in der Lorenzkirche? Oder der St.-Mang-Kirche?«
Strobl schloss das mit Sicherheit aus. Hefele ging mit der Fotografie zu Maier, der mittlerweile von heftigem Fluchen begleitet den gesamten Bericht aus Versehen gelöscht hatte. Er sah nur flüchtig auf und verkündete stolz, als wäre es die Entdeckung des Tages, es könne sich ja um einen Heiligen oder etwas Ähnliches handeln. Vielleicht stehe er in einer Kirche oder einem Kloster, man müsse halt mal rumfragen.
Wenn er sich mit seinen Diktiergeräten beschäftigte, blendete er seine Umwelt aus.
Kluftinger nahm das Bild wieder an sich, steckte es in die Tasche seines Jankers, zog es aber rasch wieder heraus, als Sandy Henske das Zimmer betrat. Vielleicht konnte sie etwas damit anfangen? Man konnte ja nie wissen. Sandy nahm sich das Foto und roch erst einmal daran, was Strobl mit einem Kopfschütteln bedachte.
Maier hatte derweil zweimal unbemerkt etwas gemurmelt und artikulierte dieselben Worte nun energischer: »Che-hef: Der Bönsch hat doch unlängst diesen Kunstraub gehabt, wo ein Allgäuer Ehepaar etwas aus dem schwedischen Museum geklaut hat. Vom König. Der kennt sich aus mit Kunst, vielleicht weiß der was.«
***
Einen Stock tiefer beugte sich Bönsch, der Mittvierziger mit der randlosen Brille, den sie »den Feingeist« nannten, lange über das Bild, hielt es gegen das Licht, wendete es, legte es schließlich auf den Schreibtisch und fällte sein Urteil: Möglicherweise stehe die Figur in einem Museum. Oder in einer Kirche.
***
Kluftinger hätte, als er um kurz nach sechs Uhr abends in sein Auto stieg, nicht mehr sagen können, wer von den Kollegen aus den verschiedensten Abteilungen von der Hundestaffel bis zum Streifendienst welche Vermutung bezüglich der Fotografie angestellt hatte. Fast alle aber meinten, man werde die abgebildete hölzerne Figur bestimmt in einer Kirche finden. Er war froh, als er in die Straße zu seinem Haus einbog. Dr. Langhammer kam ihm dort auf einem voll gefederten Mountainbike entgegen – offensichtlich vom Tennisplatz, denn er war mit einer engen weißen Sporthose bekleidet und aus seinem Rucksack ragte das Ende eines Schlägers. Natürlich bemerkte er Kluftinger, grüßte sportsmännisch und schien sich über die scheinheilige Erwiderung durch den Kommissar zu freuen.
Ob der
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