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Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
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auf Suche gehen zu dürfen. Kopfschüttelnd schlug Kluftinger die Tür des Passats zu.
    ***
    Es war etwa halb fünf, als Kluftinger zusammen mit Willi Renn, dem Leiter des Kommissariats »Erkennungsdienst – K3«, dessen Büro in der Polizeidirektion Kempten betrat. Die Asservate des neuerlichen Mordfalles hatte Willi in einer großen Aluminiumkiste verpackt und Kluftinger brannte vor allem darauf, den Inhalt der Damenhandtasche genauer in Augenschein nehmen zu können. Unruhig wippte er deshalb mit den Füßen, als sich Willi eine Schutzhaube und Handschuhe überzog und sich an einen zum Labortisch umfunktionierten Schreibtisch setzte. Auch Kluftinger zog eine Haube auf und kam nach einem flüchtigen Blick in den Spiegel zu dem Schluss, dass er darin reichlich behämmert aussah. Aber darauf kam es nun auch nicht mehr an: Um seinen beim Sturz am Tatort dunkel verfärbten Hosenboden zu kaschieren, hatte er seinen Pullover um die Hüften gebunden, was er bei Männern in seinem Alter sonst immer als »affig« bezeichnete.
    Während Willi Renn sich die Instrumente für die Untersuchung der Fundgegenstände zurecht legte, sah sich der Kommissar in dem kleinen Raum um. Er wirkte fast wie ein ganz normales Büro mit dem hölzernen Schreibtisch, der Schreibmaschine und dem Regal voller Akten. Allerdings gab es doch ein paar kleine Unterschiede. Da war zum einen die Kamera, die an die Schreibtischplatte montiert war, und die wie Röntgenaufnahmen wirkenden, abfotografierten Funde der Spurensicherung an der Wand, die die Aufmerksamkeit des Kommissars jedes Mal gefangen nahmen, wenn er Willi hier besuchte. Nein, für den sanften Schauder, der ihm auch jetzt wieder den Rücken hinunterlief, waren die Glasvitrinen im anderen Zimmer verantwortlich, dessen türloser Durchgang den Blick aller anzog, die hier hereinkamen. Neben Reagenzgläsern und allerlei technischem Gerät standen dort große Einmachgläser, in denen in einer gelblichen Flüssigkeit einzelne Finger, eine ganze Hand und noch andere, auf den ersten Blick nicht identifizierbare, aber ganz offenbar organische Objekte schwammen, von denen Kluftinger gar nicht wissen wollte, von welchen Teilen des Körpers sie stammten. Daneben stand ein Schädelskelett, in dessen rechter Seite ein großes Loch klaffte, das über die Schläfen bis zum Oberkiefer verlief.
    Diese makabre Sammlung setzte sich aus Überbleibseln früherer Ermittlungen zusammen. Willi hatte dafür sogar über die Mauern der Polizei hinaus einen gewissen Ruf erlangt, da in einem Zeitungsbericht über seine Arbeit einmal eben jenes Gruselkabinett erwähnt worden war. Und Willi, eine Kapazität auf seinem Gebiet, sagte man nach, ein etwas sonderbarer eigenbrötlerischer Leichenfledderer zu sein. Ihn störte das nicht: Diejenigen, die ihn kannten, schätzten ihn sowieso, und bei den anderen verlieh ihm dieser Ruf einen spürbaren Respekt.
    Kluftinger fühlte sich hier nicht besonders wohl. Selbst die Schaufensterpuppe, der des Öfteren die Kleidung von Mordopfern übergezogen wurde, um sie so besser fotografieren zu können, wirkte hier irgendwie unheimlich. Wenn er daran dachte, dass Willi hier, im Angesicht abgetrennter Gliedmaßen und Totenschädel, oft die ganze Nacht verbrachte, wurde ihm ganz anders zumute. Er hätte das nicht ausgehalten, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit nicht.
    Er fragte sich, was sich wohl die Straftäter dachten, die hier »erkennungsdienstlich behandelt« wurden. Man fotografierte sie von vorn, im Profil und im Halbprofil und nahm ihre Fingerabdrücke, was in Kempten noch immer mit Papier, Stempelkissen und Druckerschwärze geschah. Zwar war das K3 vor einigen Wochen mit einem neuen Fingerscanner ausgerüstet worden. Da Willi den aber noch nicht ausgepackt hatte, roch es im Raum immer noch nach Farbe – ein Geruch, für den der Kommissar nicht undankbar war, denn er wollte sich in Anbetracht der Einmachgläser im angrenzenden Zimmer nicht vorstellen, wonach es hier drin sonst gerochen hätte.
    Dann wurde seine Aufmerksamkeit wieder auf Willi Renns Schreibtisch gelenkt.
    »So, Klufti, dann öffnen wir mal unsere Schatztruhe!«, sagte er und ging nach nebenan. Kluftinger folgte ihm bewundernd. Er hatte großen Respekt vor der Fähigkeit seines Kollegen, die bisweilen äußerst unangenehmen Eindrücke seines Berufslebens wegzustecken. Gerade noch hatte er eine Leiche entkleidet, die seit einer Woche im Wald gelegen hatte, hatte sie untersucht und nun hatte er bereits wieder

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