Erntedank
dekorativ die Früchte um. Immer wieder hielt er inne, legte den Kopf zurück und besah sein Werk.
Kluftinger räusperte sich erneut, und als das nichts nützte, hustete er ein paar Mal in seine Hand. Noch immer nahm der Pfarrer keine Notiz von ihm. Vielleicht die falschen Zeichen, dachte Kluftinger, schließlich gehörten Husten und Räuspern zur Grundmelodie eines jeden sonntäglichen Gottesdienstes. Pfarrer waren auf diesem Ohr wahrscheinlich längst taub. Also kniete sich Kluftinger geräuschvoll hin, schlug ein Gesangbuch auf, das in seiner Reihe gelegen hatte, und blätterte hörbar darin herum. Auf solche Störungen reagierte der Priester allergisch, das wusste er. Mit einer missbilligend nach oben gezogenen Augenbraue drehte der sich tatsächlich zu dem Störenfried um. Als sich ihre Blicke trafen, zeigte Kluftinger immer wieder mit dem Zeigefinger zuerst auf sich und dann auf sein Gegenüber, um dem Pfarrer anzudeuten, dass er ihn sprechen wolle.
Ungerührt von Kluftingers Gestikulieren wandte sich der Pfarrer kopfschüttelnd wieder seiner Arbeit zu. Dem Kommissar stieg die Zornesröte ins Gesicht. Doch seine Wut wurde von einem stechenden Schmerz überlagert, der ihm ohne Vorwarnung ins Knie schoss. Sofort erhob er sich und setzte sich in die Bank.
Dass sich sein Knie ausgerechnet jetzt bemerkbar gemacht hatte, fand er geradezu komisch, denn die Verletzung, die es derart lädiert hatte, dass er viele Monate danach noch daran laborierte, hatte er sich ebenfalls in Anwesenheit des Pfarrers zugezogen. Seitdem – Kluftinger hatte damals in den Augen des Geistlichen eine Beerdigung »entweiht« – standen die beiden auf Kriegsfuß. Vergeblich hatte der Kommissar seither auf das Einsetzen der quasi berufsbedingten Nachsicht des Pfarrers gewartet.
Er überlegte sich, ob er vielleicht später noch einmal wiederkommen oder den Priester ganz als Informationsquelle streichen sollte, ein Seitenblick auf den Rosenkranz einer der Betenden verriet ihm aber, dass das Ende der Prozedur nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Soweit er sehen konnte, waren die Frauen bereits bei den unteren Kügelchen ihrer Gebetsschnur angekommen. Jede Perle bedeutete ein »Gegrüßet seist du, Maria«, daran erinnerte sich Kluftinger. Gerade erklangen die letzten Zeilen des Gebetsreigens: »Führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen.«
Kluftinger setzte ein erleichtertes »Amen« hinzu, stand auf und bekreuzigte sich. Dabei fragte er sich, ob diese Worte auch für den Mörder galten, hinter dem er gerade her war. Er erhob sich aus seiner Bank und ging auf den Pfarrer zu, der ihn nach wie vor keines Blickes würdigte, während die Frauen die Kirche verließen.
»Herr … Herr Pfarrer«, begann Kluftinger sanft und beseelt von den gerade gehörten Gebeten mit dem festen Vorsatz, das Kriegsbeil mit dem Geistlichen zu begraben.
Der drehte sich um, zog seine Augenbrauen nach oben und antwortete mit einem langgezogenen »Hm?«
»Herr Pfarrer, ich bräuchte da mal Ihre Hilfe. Schauen Sie sich doch bitte grad mal das Bild da an … hier. Können Sie mir vielleicht sagen, wo das da ist?«
Er reichte dem Geistlichen die Fotografie, die der sich sehr lange ansah, dabei mehrmals tief ein- und ausatmete, sie ihm schließlich zurückgab und antwortete: »Nein. Auf Wiedersehen.«
Dann machte er auf dem Absatz kehrt, stolzierte am Altar vorbei, verneigte sich vor dem Kreuz und verschwand in der Sakristei.
Kluftinger blieb wie ein Schuljunge im Mittelgang der Kirche zurück. Auf dem Weg nach draußen fiel sein Blick auf den Beichtstuhl und er dachte sich, dass er für all die Verwünschungen, mit denen er den Pfarrer gerade belegte, schleunigst selbst einmal wieder einen solchen aufsuchen sollte.
***
Nachdem Kluftinger an der mit Winter-, Sommer- und Übergangsjacken voll behängten Garderobe nach einigem Suchen doch noch einen Platz für seinen Janker gefunden hatte, fiel das Bild, das ihn heute so beschäftigt hatte, unbemerkt aus der Tasche. Der Kommissar schloss die Wohnzimmertür hinter sich und löschte das Licht im Hausgang. Eine Weile war es dunkel in der Diele, nur dumpf drangen die Stimmen von Erika und ihrem Mann nach draußen.
Plötzlich durchschnitt ein Lichtschein die Finsternis, dann wurde das spärliche Ganglicht eingeschaltet. »Ein fürchterlicher Fall, ausgerechnet du musst den wieder kriegen«, sagte Erika Kluftinger auf dem Weg in die Küche. Noch
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