Erntedank
begann, dass er früh ins Bett ging, um fit zu sein –, endeten nach wildem Herumgewälze in einem geräderten Erwachen noch vor dem Morgengrauen. Denn er fuhr immer bereits in der Dunkelheit los. Da waren die Württemberger und die Nordlichter noch nicht unterwegs, es gab keinen Stau und wurde auch nicht so schnell heiß im Auto. Dass sie nun, ohne Kind, nicht mehr an die Schulferien gebunden, unter der Woche über den Brenner fuhren, und nurmehr gut vier Stunden unterwegs waren, hatte daran nie etwas geändert. »Der frühe Vogel fängt den Wurm«, sagte Kluftinger dann stets zu seiner durch die beiden Wecker aus dem Schlaf gerissenen, derangierten Ehefrau.
Auch heute erinnerte vieles an dieses Urlaubsritual, obwohl an freie Tage im Moment nicht zu denken war: Die Leuchtanzeige des Radioweckers zeigte 4:59. Für einen Arbeitstag eigentlich viel zu früh, um aufzustehen, selbst für ihn. Dennoch schlug er die Decke zurück und schlich sich aus dem Schlafzimmer. Das Gefühl, heute in seinem verzwickten Fall einen entscheidenden Schritt weiterzukommen, war zu mächtig. Seine Frau schlummerte friedlich auf ihrer Seite – der linken, was ihm heute ein Lächeln entlockte, weil er daran denken musste, dass sie auch bei Langhammers automatisch diese Platzwahl getroffen hatten. Nachdem er die Türe hinter sich geschlossen hatte, blieb er für einen kurzen Moment unschlüssig stehen. Was sollte er tun? Den Fernseher einschalten? Er schüttelte den Kopf – so früh den Fernseher anzustellen kam ihm irgendwie nicht richtig vor. Obwohl »die Kiste«, wie er das Gerät manchmal verächtlich nannte, bei ihnen sehr oft in Betrieb war, ließen sie sie morgens in der Regel ausgeschaltet. Morgens war Radiozeit, da waren sie sich einig. Und nur morgens hatte er die Muße, ausgiebig Zeitung zu lesen. Genau das wollte er jetzt tun.
Er öffnete die Haustüre und streckte seinen Kopf nach draußen, um sich umzusehen – es wäre ihm peinlich gewesen, im Schlafanzug einem Nachbarn zu begegnen. Mit der Zeitung unter dem Arm trat er dann seinen Weg ins Bad an. Ein halbe Stunde später verließ er das stille Örtchen wieder, hinreichend informiert und zufrieden beim Blick auf die Uhr, dass es nun nicht mehr lange dauern würde bis zu seinem Aufbruch nach Buxheim, den er für acht Uhr angesetzt hatte.
Schon kurze Zeit, nachdem er am Küchentisch Platz genommen hatte, gesellte sich seine Frau zu ihm.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte sie besorgt, wobei das letzte Wort in einem langgezogenen Gähnen unterging.
»Ich wollt nur früh auf sein, weil ich doch gleich nach Buxheim fahre.«
»Ich mach dir noch ein Frühstück.«
»Ist doch nicht nötig.«
»Aber sicher. Wird bestimmt ein interessanter Tag. Mit dem Chorgestühl und so.«
Kluftinger entging nicht das leise Seufzen, das ihrem Satz folgte. Er wusste, dass sie für solche Ausflüge schwärmte, die sie ihrer Meinung nach viel zu selten machten. Irgendwie hatte er es schließlich auch ihr zu verdanken, dass es in dem Fall nun vorwärts ging. Er haderte noch ein paar Sekunden mit sich, dann gab er sich einen Ruck.
»Kannst ja mitfahren«, brummte er. Er wollte nicht zu euphorisch klingen, aber ihr zumindest das Angebot unterbreiten.
»Bitte?« Erika schien sich nicht sicher, ob sie die Worte tatsächlich gehört hatte oder ob ihr am frühen Morgen die Sinne einen Streich spielten.
»Ja. Du kannst ruhig mitfahren.«
***
Nach einer ausgiebigen Morgentoilette und einem ebensolchem Frühstück mit dem Rest des Zwetschgendatschis, der sowieso viel besser schmeckte, wenn man ihn einen Tag stehen ließ, saßen Kluftinger und seine Frau im Wagen auf dem Weg zur Kartause Buxheim. Es war ein seltsames Gefühl, seine Frau auf einer Dienstfahrt dabeizuhaben. Fast so, als säße sie im Büro am Schreibtisch neben ihm. Nun war er sich auf einmal nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, sie mitzunehmen. Zwar hatte er sich gestern ehrlich darüber gefreut, dass sie ihm mit dem Foto auf die Sprünge geholfen hatte, aber es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er selbst darauf gekommen wäre.
Erika schien sich dagegen ziemlich sicher: Bester Laune saß sie neben ihm, was er vor allem daran merkte, dass sie heute überhaupt nichts an seinem Fahrstil auszusetzen hatte. Sogar das gute Parfüm hatte sie aufgelegt – ein teures Wiedergutmachungsgeschenk von ihm, weil er ihren letzten Hochzeitstag vergessen hatte.
Sie waren gerade zwischen Legau und Lautrach, etwa
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