Erntemord
erledigen hätte, nachdem sie zwei Wochen im Hotelzimmer gewohnt hatte.
Doch das würde sie nicht tun. Kendall war immer ihre Freundin gewesen. Ja, sie war verheiratet mit Jeremys Bruder, doch das war es nicht wert, eine Freundschaft zu ruinieren.
„Ich hatte gerade einen späten Lunch“, sagte Rowenna.
„Ich lasse dich auch nicht viel essen“, erwiderte Kendall. Rowenna lachte. „Sicher, darauf wette ich. Danke. Es wird sicher schön, sich ein letztes Mal zu verabschieden.“
„Hey, sag so etwas nicht“, protestierte Kendall.
„Tut mir leid. Ich meinte es gar nicht so. Ich meinte, bevor ich nach Hause fahre.“
„Großartig.“
„Weißt du, ihr könntet eigentlich zu Thanksgiving zu mirkommen“, schlug Rowenna vor.
„Es wird schwer, im Moment wegzufahren. Ich habe diese Gruppe kleiner Kinder, die am Mittwoch vorher ein erstes Thanksgiving-Stück aufführen. Aber Aidan und ich werden bald mal hochkommen. Ich verspreche es. Und du kommst jetzt zu uns heraus, ja? Oder jedenfalls, wenn du gepackt hast und fertig bist. Geht dein Flug früh?“
„Nein, erst gegen Mittag.“
„Großartig“, sagte Kendall. „Dann schwing deinen Hintern hier rüber. Oder noch besser, Jeremy kommt zu uns, weil er etwas mit Aidan besprechen will. Da kann er dich doch mitnehmen. Ich sage ihm, dass er dich anrufen soll. Bis später.“
„Nein! Nein, nein, ich nehme lieber meinen eigenen Wagen. Tatsächlich sollte ich eigentlich hierbleiben und mich um einige Dinge kümmern. Kendall?“
Rowenna begriff, dass sie ins Nirwana sprach. Kendall hatte aufgelegt.
Super. Richtig super.
Was jetzt? Sich einfach normal verhalten, das würde helfen.
Wieder klingelte das Handy. Wider besseres Wissen hoffte sie, dass Kendall noch einmal anrief, aber natürlich war dem nicht so.
Jeremy war dran.
„Ich höre, ich soll Sie abholen? Wäre es Ihnen in einer Stunde recht?“
„Das passt gut, aber ich bin nicht sicher, ob ich mitgehen soll.“
„Sie müssen mitgehen. Sie haben die Rechnung bezahlt. Ich schulde Ihnen also eine Mahlzeit. Da sich aber meine Schwägerin um das Essen kümmert, muss ich es zumindest damit ausgleichen, dass ich den Chauffeur spiele. Es tut mir übrigens leid, dass mein Anruf so lange dauerte, dass Sie mir lieber den Laufpass gaben.“
Sie zuckte zusammen. Nur zu gerne hätte sie ihn vor ein paar Wochen so freundlich sprechen hören.
„Also … in einer Stunde?“, fragte er.
„Sicher, ja, vielen Dank.“
Nachdem sie aufgelegt hatte, zögerte Rowenna einen Moment und rief dann Joe Brentwood an.
„Hey“, begrüßte er sie an seinem Handy. „Kommst du noch immer morgen nach Hause? Ich hätte gerne deine Meinung zu etwas, das hier geschehen ist.“
„Joe, du solltest sagen, dass du mich vermisst hast und dass du hocherfreut bist, mich morgen zu sehen.“
„Ich vermisse dich und bin hocherfreut, dich morgen zu sehen. Und ich habe einen interessanten Fall für dich.“
„Mit einem Mann namens Brad Johnstone und seiner verschwundenen Ehefrau Mary, richtig?“, sagte sie.
„Verdammt. Du bist eine Hellseherin.“
Sie war keine Hellseherin. Sie traf keine Menschen und empfing auch keine Botschaften von den Geistern verstorbener Angehörigen. Doch es gab Momente, in denen sie ihre Sinne offen hielt, in denen sie dachte und fühlte und eine gute Portion gesunden Menschenverstand benutzte, um Dinge aufzuklären. Vielleicht gab es in ihrem Unterbewussten irgendetwas anderes, etwas, das ihren Schlussfolgerungen den entscheidenden Vorteil gab. Doch obwohl sie über die Erfahrungen anderer mit übernatürlichen Kräften schrieb und obwohl sie die Gabe einräumte, Dinge zu erspüren, wo andere nichts spürten, würde sie sich niemals eine Hellseherin nennen. Nicht wenn – egal wie sehr Jeremy Flynn diese Wahrheit bezweifelte – sie nicht an die Existenz des Paranormalen, sondern nur an die Möglichkeit glaubte. Egal wie andere sie manchmal nannten, sie sah sich einfach nur als jemanden, der alle Sinne und sein Gehirn einsetzte, um Möglichkeiten zu erkennen und aufgrund von vorliegenden Beweisen Schlüsse zu ziehen. Und sie hatte absolut sichergestellt, dass niemals auch nur ein Hinweis auf ihre Mitarbeit in den Medien erschien.
„Nein, Joe, ich bin keine Hellseherin. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Und ich habe einen … Freund, der auf merkwürdige Weise damit zu tun hat.“
„Wie?“
„Der Typ, mit dem ich hier unten arbeite, hat früher mit Brad Johnstone gearbeitet.“
„Dieser
Weitere Kostenlose Bücher