Erntemord
sie und strich ihm über die Wange. „Du auch“, flüsterte sie. „Sei du auch vorsichtig.“
Er grinste. „Ich bin immer vorsichtig. Und ich trage eine Waffe.“
„Ich schätze, das ist gut“, sagte sie zweifelnd und fügte dann hinzu: „Denn ich bin sicher, dass du sie zu benutzen weißt.“
„Man sollte keine tragen, wenn man nicht weiß, wie man damit umzugehen hat“, erwiderte er.
„Ich habe Pfefferspray bei mir und keine Angst, es einzusetzen“, sagte sie.
„Es geht darum, gar nicht erst in eine Situation zu geraten, in der du das tun musst.“
„Habe ich nicht vor, versprochen.“
„Dann los. Geh wieder zu deinen Freunden. Ich treffe dich später im Museum.“
Sie nickte und drehte sich um. Er sah ihr nach, bis sie im Restaurant verschwand. Dann blickte er auf die Uhr. Er musste sich beeilen. In New England wurde es im Herbst früh dunkel, und er wollte ein paar Dinge erledigen, bevor es dämmrig wurde – und bevor das Museum schloss.
Falls er es heute Nachmittag nicht schaffte, würde er das Farmhaus auf morgen verschieben.
Doch er würde Eric Rolfe finden.
Den Mann, der kürzlich in die Gegend zurückgekehrt war.
Den Mann, der einst die gruseligsten Vogelscheuchen gebastelt hatte.
Und der nun Bilder des Teufels schuf.
11. KAPITEL
Rowenna stand an der Tür und sah Jeremy in der Ferne verschwinden.
Er erinnerte sich tatsächlich nicht, wie er letzte Nacht am Fuße des Bettes gestanden hatte, nackt und schlafend, und mit jemandem gesprochen hatte, der nicht da war.
Zum Glück würde er sie im Museum abholen, sodass sie nicht alleine in das Haus zurückkehren musste.
Sie fragte sich, warum sie so viel Angst hatte wegen etwas, das so einfach zu sein schien. Wenn sie vor etwas Angst haben sollte, dann vor dem Umstand, dass sich ein Killer auf der Straße herumtrieb, der seinen Opfern schreckliche Dingeantat. Und sie hatte Angst, natürlich, aber sie würde klug sein und in der Gesellschaft ihrer Freunde bleiben.
Und dann waren da die Träume. Sie fürchtete ihre eigenen Träume.
Da brauchte sie sich wirklich nicht auch noch um Jeremys zu kümmern.
Doch ihre eigenen Träume waren etwas, dem sie nachgehen musste. Denn dort hatte sie zum ersten Mal die Leiche im Maisfeld gesehen. Und wenn sie herausbekam, wie sie auf das zugreifen konnte, was sie im Unterbewusstsein sah …
„Fertig?“
Sie drehte sich um. Die anderen waren zu ihr an die Tür gekommen.
„Hast du dich von deinem besonderen Freund noch einmal extra verabschiedet?“, zog Eve sie auf.
„Was ist los? Sind wir wieder in der Highschool?“, wollte Rowenna wissen. „Vergiss nicht, dass er hier ist, weil eine Freundin von ihm vermisst wird.“
„Daran möchte ich gar nicht denken“, sagte Eve. „Ich möchte den Herbst genießen und ein bisschen fröhlich sein. Wir können uns nicht jeden Todesfall zu Herzen nehmen,oder wir werden verrückt. Klingt das herzlos?“
Daniel sah sie abweisend an. „Wie wäre es denn damit, Rowenna diese abstoßenden Masken in eurem Laden zu zeigen? Das ist doch ein fröhlicher Gedanke für dich.“
Eve warf ihm einen eisigen Blick zu, hob das Kinn und rauschte dann mit ihrer Außer-Haus-Bestellung davon.
Die beiden anderen grinsten und folgten.
Eve ist fleißig gewesen, oder besser gesagt, Eve und Adam sind fleißig gewesen, dachte Rowenna. Das Schaufenster sah verlockend aus: ganz in majestätischem Purpur ausgeschlagen, mit einer schillernden Auslage von Silberschmuck und saisonalen Dekorationsartikeln. Bunte Blätter lagen wie zufällig auf dem purpurfarbenen Stoff verstreut, und auf das Thanksgivingfest und die Ernte abgestimmte Produkte waren gefällig arrangiert.
Als sie eintraten, erklangen leise Glocken über der Tür. Adam sah auf und begrüßte sie, dann wandte er sich wieder seinem Kunden zu, dem er offensichtlich gerade eine von Erics schaurigen Masken zeigte.
„Igitt“, flüsterte Eve. „Kommt mit nach hinten und seht euch die anderen an.“
Als sie am Tresen vorbeigingen, stellte Eve die Tüte mit Adams Lunch neben ihn und ging dann voran in den hinteren Teil des Ladens.
Und da waren sie.
Aus Holz geschnitzt, waren die meisten Masken noch mit verschiedenen Materialen geschmückt. Die eine blickte aus Glasaugen mit einer solchen Bösartigkeit, dass es einem tatsächlich Angst machte. Eine andere trug Hörner aus abgeworfenen Hirschgeweihen. Eine weitere zierten offenbar echte Ziegenhörner. Einige Masken waren bemalt, doch die reinen Holzmasken schienen
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