Erntemord
verschwand?“, fragte sie unruhig.
„Ich wünschte, ich könnte das sagen, aber nein. Er war groß, gut aussehend. Kräftig gebaut, als ob er viel draußen ist und körperlich arbeitet. Ich hatte den Eindruck, dass er Arbeiter war. Ich weiß nicht – Mechaniker, Bauarbeiter, irgend so was. Er hatte diese Bad-Boy-Attitüde, schätze ich.“
„Blond, dunkel, weiß, schwarz, Hispano, Asiate … Was?“, fragte sie.
„Blond, weiß“, erwiderte Daniel. „Hoffentlich veröffentlichen sie ein Phantombild. Jemand wird ihn erkennen, und sie kriegen ihn. Bald, hoffe ich. Solange Mary noch lebt.“
Sie nickte und lächelte ihn vorsichtig an. „Ich bin froh, dass du ebenfalls glaubst, dass sie noch lebt. Brad glaubt es natürlich, aber das muss er auch, um nicht verrückt zuwerden. Doch ich habe den Eindruck, die meisten halten sie für tot. Vor allem jetzt, da Dinah Green …“ Sie konnte sich nicht überwinden weiterzusprechen. Das Bild vor ihrem inneren Auge war schlimm genug, ohne es in Wort zu fassen.
Er strich ihr über die Wange. „Ich glaube, du denkst, dass sie lebt, weil du das möchtest“, sagte er weich.
„Das ist nicht wahr. Ich glaube es wirklich.“
„Du bist ein gutes Mädchen“, sagte er. „Aber wirst du auch eine gute Königin sein?“, fügte er neckisch hinzu, um die Stimmung aufzuheitern.
Sie zuckte die Achseln. „Es ist schwierig, ausgerechnet jetzt an eine Feier zu denken.“
„Ja, aber … so dreht sich die Welt nun mal. Alles geht weiter. Die Jahreszeiten werden immer kommen und gehen. Natürlich nur, bis wir den Planeten in die Luft jagen“, sagte er düster. „Nun ja, es war ein langer Tag, und der morgige wird noch länger. Ich nehme an, wir sehen uns morgen?“
„Ja, aber warte! Ich möchte hören, was du herausgefunden hast.“
Er wedelte unwirsch mit der Hand. „Nichts Großartiges. Ich erzähle es dir morgen, okay?“
„Sicher, danke.“
Er runzelte die Stirn. „Hey, kommst du allein zurecht? Soll ich dich irgendwo hinbringen?“
„Nein, nein, ich muss nur die Straße hinauf.“
„Nun, pass auf dich auf.“
„Ich bleibe auf den Hauptstraßen und gehe nur ein paarBlocks. Es ist alles bestens.“
Er winkte zum Abschied und ging die Straße hinunter. Sie sah ihm nach und zögerte, weil ihr der Gedanke kam, dass sie ihn um seine Begleitung hätte bitten sollen. Sie überlegte, ob sie ihn zurückrufen sollte. Doch sie würde wirklich nur einige Blocks weit gehen, und das auf belebten Gehsteigen. Und sie konnte es nicht zulassen, dass Jeremy und Joe ihr Angst machten vor der Stadt, in der sie ihr ganzes Leben verbracht hatte.
Als sie um die Ecke bog, sah sie, dass Adam und Eve noch nicht geschlossen hatten. Tatsächlich befanden sich noch mehrere Kunden im Laden.
Sie bemerkte, dass Eve eine Ecke des Schaufensters für das Plakat der Polizei reserviert hatte.
Rowenna zwang sich, nicht auf die Bilder zu schauen; sie verstand noch immer nicht, wie sie vor dem Museum so viel Zeit mit ihrem Anblick hatte verlieren können. Sie hatte nicht versucht, sich in sie hineinzuversetzen, um zu erspüren, wo sie waren oder was geschehen war, doch irgendwie hatte ihr Geist von selbst diese Kanäle gesucht.
Vielleicht sollte sie versuchen, zu erspüren, wo Mary war, wenn sie noch lebte.
Wie lange noch?
Ein Gefühl der Dringlichkeit nagte an ihr. Wenn sie nur eine Art magisches Fenster oder eine echte Kristallkugel hätte, oder wenn sie wenigstens in eine Trance fallen könnte, um die Wahrheit aufzudecken. Doch das konnte sie nicht. Trotz der Art, wie sie sich zuvor gefühlt hatte, und trotz der Dinge, die sie gesehen hatte, hatte sie nur die Logik.
Sie konnte sich nur in sie hineinversetzen, zu ihnen werden.
Doch das war beängstigend und schmerzhaft. Und sie konnte es nicht jetzt tun, nicht hier und nicht allein.
Sie wollte gerade weitergehen, als Eve sie erblickte, ihr zuwinkte und nach draußen kam, wo sie Rowenna ein besorgtes Lächeln schenkte.
„Was machst du allein hier draußen? Du fährst doch nicht allein nach Hause und bleibst dort in dem großen alten Haus, oder?“
„Ich bleibe in der Stadt bei Jeremy“, sagte Rowenna. „Ich bin gerade auf dem Weg, um mich mit ihm zu treffen.“
„Geschickter Schachzug“, zog Eve sie auf.
„Eve!“
„Ach komm, sei nicht eingeschnappt. Ich weiß doch, dass du nicht mit jemandem schlafen würdest, nur weil du nicht nach Hause möchtest. Vor allem nicht mit ihm. Ich meine, ichwürde ohne jeden Extra-Anreiz mit
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