Ernten und Sterben (German Edition)
nickte ironisch in seinen grünen Tee. »Nur wird er nicht funktionieren«, sagte Egon-Erwin, den nicht der Hunger, sondern die Neugier nach Klein-Büchsen getrieben hatte. Er witterte wieder eine Story für die nächste Ausgabe der Landeszeitung. »Nun lasst doch Clementine in Ruhe erzählen, was sie vorhat«, sagte Albertine.
Clementine warf ihr einen dankbaren Blick zu. »Ich werde ein Gerücht in die Welt setzen. Und zwar in der ›Heideblume‹. Sören hat mich gefragt, ob ich nicht als Kellnerin ab und zu aushelfen kann. Das Angebot nehme ich an und verbreite gleich am ersten Tag das Gerücht. Ich unterstelle dem Bürgermeister, dass er auf Kosten des Dorfes in die eigene Tasche wirtschaftet. Er hat also allen Grund, jeden aus dem Weg zu räumen, der ihm in die Quere kommt. Außerdem stören ihn angeblich die zugereisten Städter. Was liegt also näher, als Ihnen«, sie deutete mit dem Kinn auf Hubertus und dann zu Albertine auf der Couch, »zwei Morde in die Schuhe zu schieben und die zwei größten Nervensägen des Dorfes gleich mit ins Jenseits zu befördern. Der Bürgermeister hat einen IQ von achtzig, das weiß er seit seiner Schulzeit, und deshalb hasst er jeden, der intelligenter ist als er. Dieser Minderwertigkeitskomplex hat inzwischen die Größenordnung einer Psychose angenommen, die angeblich vor Jahren schon einmal von einem Psychiater behandelt wurde. Ob das stimmt oder nicht, ist egal. Ich erzähle an jedem Tisch in der ›Heideblume‹ nur einen Teil der Geschichte, und den Rest überlassen wir der Phantasie der Dörfler. Ein Abend reicht dafür vollkommen aus. Am Tag darauf unternehme ich einen ausgedehnten Spaziergang. Und dann wird Focken schon auftauchen.« Clementine kreuzte die Arme vor der Brust und schaute erwartungsvoll in die Runde.
Egon-Erwin und Hubertus kamen aus dem Staunen nicht heraus, doch Albertine nickte.
»Was passiert, wenn er Sie betäubt und im Keller gefangen hält wie Gunnar?«, fragte Albertine, weil die beiden Herren die Sprache immer noch nicht wiedergefunden hatten.
»Der japanische Kampfsport ist mir seit Jahren in Fleisch und Blut übergegangen.« Clementine ging leicht in die Knie und nahm die klassische Kampfstellung ein. »Außerdem habe ich immer eines meiner Kai-Shun-Messer dabei.«
»Da kann man doch nur Gurken mit schneiden«, sagte Egon-Erwin.
»Oder Kartoffeln schälen«, fügte Hubertus hinzu, gefolgt von zweistimmigen Gelächter.
»Wer soll denn das Kindermädchen spielen für Clementine. Das Fräulein Müller von der Kripo etwa?«, fragte Egon-Erwin, gefolgt von kräftigem Schenkelklopfen.
»Klappe halten!«, rief Albertine.
»Jawoll, Fräulein Müller!«, riefen die beiden und kicherten.
»Ich finde diesen Plan ausgesprochen überzeugend«, sagte Albertine. »Clementine scheint weniger Angst zu haben als alle Hasenfüße, die hier so rumhoppeln. Clementine, wenn es so weit ist, gehen Sie auf dem Feldweg spazieren, der zum Haus des Bürgermeisters führt. Da steht auch ein Hochsitz, ideal für Egon-Erwin und sein Teleobjektiv. Am Ende des Weges steht der riesige Findling, hinter dem sich Hubertus postieren kann. Und ich warte im Stall vom Bürgermeister, von da habe ich den Kellerabgang bestens im Blick. Wir brauchen also nur noch diese Geräte mit dicken Antennen dran. Wie heißen die noch mal?« Sie blickte zu Hubertus hinüber.
»Walkie-Talkies. Aber das ist doch Quatsch, wenn jeder ein Handy hat, das keine Rückkopplungen oder Pfeifgeräusche produziert«, sagte Egon-Erwin.
»Du weißt ganz genau, dass ich die Dinger wie die Pest hasse«, sagte Albertine.
»Geht aber nicht ohne. Nimm doch mein Notfall-Handy, das hat extragroße Tasten, und mit dem Ding kann man nur anrufen oder angerufen werden. Es wird also nichts passieren, und nur wir können dich belästigen. Mich würde eher interessieren, wie du den Bürgermeister überwältigen willst«, sagte Egon-Erwin.
»Momentchen«, sagte Albertine und verschwand in den ersten Stock. »Man soll seine Gegner mit ihren eigenen Waffen schlagen.«
Respektvoll wurde der Elektroschocker von Hand zu Hand gereicht. Hubertus drückte auf den Knopf, und es passierte nichts. Er wirkte total enttäuscht. Schnell fand Egon-Erwin heraus, dass ein blauer elektrischer Lichtbogen zwischen den Gabeln an der Spitze des Tasers entstand, wenn man das Gerät auf eine metallische Oberfläche hielt, während er den Knopf drückte. So brachte er dem Metallkübel einer Zimmerpflanze zwei fette Brandpunkte
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