Ernten und Sterben (German Edition)
zu.
neun
Die Reaktionen der Leser auf die Notausgabe der Landeszeitung fielen verheerend aus.
Was Egon-Erwin und seine Kollegen unter großen Mühen produziert hatten, wurde von den meisten Absendern der elektronischen Leserpost als dilettantisch abgetan. Viele verlangten ihr Geld zurück. Ein Euro und fünfzig Cent. Zu Egon-Erwins Artikel über die gekreuzigte Kuh von Bauer Schlüter meldeten sich nur Tierschützer und natürlich Veganer, die sich über Sensationsjournalismus auf Kosten unschuldiger Lebewesen aufregten. Offenbar waren die Leser für Horrorgeschichten aus der Provinz nicht mehr zu begeistern. Nun stand wieder die Finanzkrise im Mittelpunkt des medialen Interesses und was der Bürger dagegen tun könnte. Sparen, sparen und nochmals sparen, lautete die Devise aller Experte. Wütend klappte Egon-Erwin seinen Laptop zu.
»Wo ist der Chef?«, brüllte er in das Großraumbüro.
»Keine Ahnung …«
»Im Knast!«
»Zur Hölle gefahren …«
»Bei Mutti!«
Niemand schien den Chef zu vermissen, und am wenigsten vermisste Egon-Erwin ihn.
»Und wer ist jetzt Chef?«, polterte er wieder los.
»Du! Lies mal das Fax vom Herausgeber.« Ein Kollege hielt ihm ein Stück Papier unter die Nase. Der Herausgeber verkündete den Wechsel an der Redaktionsspitze. Die Beförderung kam Egon-Erwin irgendwie spanisch vor, doch wenigstens konnte er jetzt seine Bewirtungsbelege selbst abzeichnen. Keine Currybude mehr, sondern nur noch die »Heideblume«. Und das hieß Trüffel und Champagner satt.
»Ich bin dann mal ’nen Happen essen«, rief Egon-Erwin seinen Kollegen zu und erntete Rülpsgeräusche.
»Da hat er sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert«, sagte Albertine, die sich mit der Landeszeitung auf die Couch zurückgezogen hatte. »Wie kann man so einem Artikel die Überschrift ›Das Schweigen der Rinder‹ geben? Mit besten Grüßen von Thomas Harris und Hannibal Lecter? Mich würde mehr interessieren, wer denn nun unser Kannibale Hannibal ist. Focken ist meine erste Wahl, aber wie kann man ihn aus der Reserve locken? Mir fällt da im Moment nichts ein.«
»Wir brauchen eine Art Lockvogel, den er in seinen Keller verschleppen kann. Und dort warten wir schon auf ihn. Und dann: ›Zack – die Bohne‹, schlägt Müller Eins zu«, sagte Hubertus.
»Du glotzt zu viel Unterschichtenfernsehen. Und du willst ja hoffentlich nicht allen Ernstes die Kommissarin mit Gina-Lisa Lohfink vergleichen.« Albertine knüllte die Seite zwei der Landeszeitung zusammen und schüttelte resigniert den Kopf.
»Dann engagieren wir eben Gina-Lisa. Auf solche Damen steht doch der Bürgermeister und …«
»Hast du heute Morgen schon getrunken, Hubertus? Das darf ja wohl nicht wahr sein. Das ist ja der größte Unsinn, den ich jemals gehört habe«, sagte Albertine.
»Dann musst du eben den Kopf hinhalten.« Hubertus widmete sich wieder seinem grünen Tee und futterte einen Takoyaki Kukki nach dem anderen. Clementine war zufrieden und brachte noch ein Körbchen mit delikaten Sesam-Cookies.
Albertine überlegte immer noch. »Wie soll ich das denn hinkriegen? Ich kann mir ja schlecht ein Schild mit der Aufschrift ›Lockvogel‹ um den Hals hängen.«
»Außerdem ist das ja eine vollkommen durchsichtige Taktik«, sagte Clementine. »In so eine Falle wird er nie tappen, wenn er wirklich ein Killer und Psychopath ist. Er möchte selbst bestimmen, wann und wen er quälen kann. Nur so kann er Druck abbauen und sein sadistisches Vergnügen befriedigen.«
»Das klingt alles plausibel, aber es fehlt trotzdem ein Plan, eine zündende Idee«, sagte Hubertus.
»Das ist doch ganz einfach«, sagte Clementine. »Ich übernehme die Rolle des Lockvogels. Vor dem Bürgermeister habe ich keine Angst. Focken ist ja nur ’ne halbe Portion.« Sie blickte schmunzelnd in die Runde, als würde sie ganz genau wissen, dass sie Albertine, also Frau von Krakow, und Hubertus auf die Folter spannte.
»Wie soll das gehen, verehrte Clementine? Wollen Sie einfach in das Haus von Focken spazieren und ihm an den Kopf werfen, dass er ein Psycho und Massenmörder in Personalunion ist?«, fragte Hubertus, während Albertine ausnahmsweise schwieg. »Und dann schneiden Sie ihm den Zeigefinger ab, pressen den Zahlencode zu der Stahltür aus ihm heraus und überlisten ihn, sodass er selbst in seinem Folterverlies landet. Eingesperrt in seinem Keller bei Brot und Wasser, wird er dann ein Geständnis ablegen, und Müller Eins nimmt ihn fest. Guter Plan.« Hubertus
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