Ernten und Sterben (German Edition)
bei.
»Wo hast du das teuflisch gefährliche Ding her?«, fragte Hubertus.
»Bestellt per Express. Fünf Millionen Volt für sechsundsiebzig Euro achtundneunzig. Ein Fünf-Sekunden-Schlag, und der Bürgermeister liegt flach.« Albertine unterstützte ihre Worte, indem sie die flache Hand durch die Luft sausen ließ.
»Aber so schnell sind wir nicht bei dir und Clementine, um euch zu helfen«, sagte Hubertus.
»Ich brauch doch nur diese Plastikdinger. Damit verschnüren wir Focken wie ein Paket«, sagte Albertine.
»Welche Plastikdinger?«, fragte Clementine.
»Lange Kabelbinder eben. Hast du die auch bestellt?«, sagte Egon-Erwin.
»Nein, verdammt noch mal. Bin ich hier bei einer Gerichtsverhandlung?« Albertine wedelte mit dem Elektroschocker durch die Luft, und alle zogen den Kopf ein.
»Du hast also keine. Na gut, dann bring ich welche mit«, sagte Egon-Erwin. »Ich bin bei der Aktion dabei.«
»Dann sind wir uns also einig, ja?« Clementines Augen strahlten geradezu. »Darauf sollten wir einen trinken.«
Diesmal blieb die Flasche mit dem dänischen Bio-Schnaps unzerstört.
»Einen schönen Tag wünsche ich. Wir haben als Vorspeise eine klare Gemüsebrühe mit Petersilienklößchen auf der Tageskarte. Danach kann ich Ihnen geschmorte Lammkeule mit Kartoffel-Pastinaken-Püree anbieten, und zum Abschluss gibt es eine Himbeer-Joghurt-Creme.« Clementine hatte die weiße, knöchellange Schürze mit dem Logo der »Heideblume« um die breiten Hüften geschlungen. Das Ehepaar Dittmer, das eine kleine Dachdeckerei betrieb und auf die Renovierung historischer Dachstühle spezialisiert war, starrte sie an.
»Ich hätte gerne ein Bier und meine Frau einen offenen Rotwein«, sagte Jens Dittmer schließlich und wartete hungrig auf den ersten Gang. Er schaufelte die Suppe lautstark, ohne etwas zu sagen. Nach der Suppe sagte Clementine: »Wussten Sie eigentlich, dass der Bürgermeister das Dach der Schule renovieren lassen will.«
»Hab ich gehört.« Dittmer, der gerade noch sehnsüchtig auf die duftende Lammkeule in Clementines Händen geschaut hatte, wirkte auf einmal sehr nachdenklich.
»Nur hat Focken noch nichts von sich hören lassen. Das Dach hat bestimmt zweihundert Quadratmeter. Stinkt bestimmt erbärmlich nach diesem Massaker. Schließlich war der Herd die ganze Nacht an, und die Rauchentwicklung soll heftig gewesen sein«, sagte Clementine, die nun die Saat des Gerüchts ausbrachte. »Das soll sein Vetter aus der Kreisstadt machen, hab ich gehört. Natürlich nur gehört. Sie wissen ja, wie schnell sich Gerüchte verbreiten«, sagte die scheinheilige Clementine und stellte die Teller vor die Dittmers. »Wie wär’s mit einem zweiten Bierchen auf die Überraschung?«
Auf der Terrasse saßen die Mitglieder des Skatclubs und ließen es sich gut gehen. Die Laune stieg parallel zum Alkoholpegel.
»Was darf’s noch sein, die Herren?«, fragte Clementine.
»Bier! Schnaps! Wein!«, schallte es ihr entgegen.
»Gern, aber Sie sollten auch noch einmal das Essen genießen, bevor es zu spät ist.« Betont langsam wischte Clementine mit dem Lappen über den mit Ascheresten vollgekrümelten Tisch.
»Wieso denn? Geht dem Sören die Kohle aus? Hier ist doch immer voll«, sagte der Vorsitzende der Kartenspieler.
»Das könnte passieren, wenn die Bauarbeiten nächsten Monat beginnen. Sie wissen ja, die Durchgangsstraße wird das Dorf verschandeln und aus der Dorfstraße ’ne Rennstrecke machen. Dann hält niemand mehr an, um in der ›Heideblume‹ einzukehren. Und Sie werden wohl kaum in den Abgasen Ihr Bier genießen können.« Clementine schüttelte den Lappen aus. »Wohl bekomm’s, die Herren!«
»Hinten kackt die Ente, sag ich immer. Der Focken und der Hansen sollen sich mal was trauen«, rief der Vorsitzende in die Runde und leerte das Glas unter großem Gejohle seiner Skatbrüder mit einem Zug.
Am Stammtisch im Schankraum saßen die Altbauern vor ihrem traditionellen Essen, der Finkenwerder Scholle.
»Wie wär’s noch mit ’ner Runde ›Friesen-Köm‹ auf Kosten des Hauses?«, fragte Clementine.
»Jede Drüppen hölpt see de Pismieg un pinkel in’t Watt.« Bauer Schlüter hatte die Trauer über den grausamen Mord an Helga, seiner weiß-schwarzen Holsteiner Kuh, noch nicht überwunden und sein Alkohol-Limit schon überschritten.
Nicht nur deshalb glaubten die Landwirte Clementine jedes Wort, als sie erzählte, dass der Bürgermeister die EU -Subventionen in Windkrafträder investieren und die
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