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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Unsicher fragte sie: »Aber was hat das zu bedeuten?«
    Der Priester rollte sein Pergament zusammen. »Ich halte die Macht in den Händen, die Geschichte zu formen. Das bedeutet es.«
    Endlich wurden sie von der Wache an der Tür durchgelassen und begaben sich ins Innere des Palastes. Sihtric führte sie durch das dichte Gedränge englischer Adliger zum Schlafgemach des Königs.
    »Für dich habe ich noch eine andere Geschichte von Vinland«, sagte Orm leise zu Godgifu, als sie sich erneut in die Schlange stellten. »Mein Vater hat mir erzählt, dass die ersten Wikinger-Siedler bei der Erkundung der Küste einmal auf einen menschlichen Schädel stießen, der aussah, als wäre er mit einem Stein zertrümmert worden. Als sie weiter suchten, fanden sie das Wrack eines Lederbootes, einen primitiven Verschlag aus aufgehäuften Grassoden – und ein silbernes Kruzifix. Das waren die Überreste eines Mönchs, eines jener verrückten irischen Eremiten, die auf der Suche nach Einsamkeit und Gott nach Westen aufgebrochen waren. Es war ein Wunder, dass er es
geschafft hatte, das Meer zu überqueren, ohne zu verhungern. Aber er hat Vinland als Erster gesehen, noch vor den Wikingern.«
    »Und die Skraelings haben seiner Reise ein Ende gemacht.«
    »Anscheinend …«
    Schließlich gelangten sie zur Tür von Edwards Schlafgemach. Mit Täuschungen und Drohungen gelang es Sihtric, Edwards Thegns und Huscarls dazu zu bewegen, ihn und seine Begleiter durchzulassen.
    Und zu seinem Erstaunen stellte Orm im Gemach eines sterbenden Königs erneut fest, dass er zum Zeugen historischer Ereignisse wurde.

VIII
    Er lag auf einer Bettstatt, in kostbare Gewänder gehüllt, und sah bereits wie ein Skelett aus. Die Haut spannte sich über seinen Schädel, das Haar war dünn und weiß wie Reif. Seine Gemahlin war bei ihm – Edith, Harolds Schwester. Ihre Ehe war ein Bündnis gewesen, das Edward von einem übermächtigen Earl aufgezwungen worden war, doch jetzt schien Edith ungeachtet ihrer Differenzen aufrichtig traurig zu sein, als sie die Hand ihres sterbenden Gemahls hielt.
    Ärzte liefen nervös umher, und die Luft war vom Gestank ihrer Tränke erfüllt; aber es waren mehr Priester als Ärzte zugegen, und Mönche leierten einen monotonen Psalm herunter. Auch Harold Godwineson, der Earl von Wessex, war da, die Hände zum Gebet gefaltet, das Gesicht ernst. Sihtric trat an die Seite seines Herrn.
    Der König bewegte sich und erschreckte sie alle. Er hob eine Hand und winkte matt.
    Harold trat vor, und Sihtric folgte ihm wie eine Ratte. Obwohl sie sich im Flüsterton unterhielten, konnte Orm verstehen, was folgte.
    »Diene dem Aetheling«, wisperte der König. »Hörst du, Harold?«

    »Natürlich, aber …«
    »Edgar Aetheling ist der wahre Erbe. In seinen Adern fließt Alfreds Blut.«
    »Es ist Sache des Witans, über die Nachfolge zu entscheiden, nicht meine.«
    Edward schnaubte leise. »Der Witan wird tun, was du ihm sagst.«
    »Aber es ist eine gefährliche Zeit für England. Und Edgar ist noch ein Kind. Dies ist nicht der richtige Moment, ein Kind auf den Thron zu setzen. Ernenne mich zum Reichsverweser, bis der Aetheling so weit ist.«
    »Nein.« Das war Sihtric, der es wagte, einen sterbenden König zu unterbrechen.
    Godgifu schnappte nach Luft, und Orm hielt sie zurück.
    Mit gerötetem Gesicht flüsterte der Priester Harold zu: »Der Thron ist dein , Herr. Das sagt die Prophezeiung. Wir haben bereits darüber gesprochen, und meine Studien haben mir seither gezeigt, dass es stimmt. Das musst du jetzt einsehen. In der neunten Strophe heißt es: ›Ein Krieger nimmt / Noble elfenweise Krone. ‹ Elfenweise – Alfred .«
    Auf einmal verstand Orm, und es war wie ein Schock. Harolds Standarte war der »Goldene Krieger«; die Krone, die Sihtric ihn zu übernehmen drängte, gehörte einem König, der von Alfred abstammte. Ihn fror angesichts der Präzision des Menologiums – und angesichts der Vorstellung, dass ein vor vielen hundert Jahren abgefasstes Dokument dazu gedacht war, in
diesem Augenblick einzugreifen, genau hier, genau jetzt.
    Auch Godgifu schien schockiert zu sein. Offenbar hatte ihr Bruder nicht einmal ihr etwas von dieser neuen Deutung mitgeteilt.
    »Ich habe sorgfältig darüber nachgedacht, Herr«, sagte Sihtric eindringlich. »Du musst es tun. England verlangt es. Die Vorsehung will es so. Du weißt, ich habe deine ehrenhaften Absichten bezüglich der Thronfolge des Aethelings freimütig bewundert. Aber es geht nicht

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