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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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auf uns zukommen sehe, wenn Harolds Söhne aus seiner Ehe mit Edith dahinterkommen, was passiert ist.«
    Godgifu war weniger beeindruckt. Sie oder vielmehr ihr Vater war schließlich mit Tostig verbündet gewesen. »Das ist ein weiterer fauler Kompromiss«, sagte sie. »Die schmutzige Moral eines Mannes, der dorthin gekommen ist, wo er ist, indem er seinen eigenen Bruder verraten, einen sterbenden König drangsaliert und Lügen über dessen letzte Worte verbreitet hat – und obendrein hat er auch noch einen Eid gebrochen, den er auf eine heilige Reliquie geschworen hat.«
    »Harold sitzt auf dem Thron. Das ist das Einzige, was zählt. Und man kann kein Land regieren, ohne ein paar Sünden zu begehen, da bin ich sicher.«
    Sihtric nahm indessen wenig Notiz von solchen Lappalien. Sein Schluss, dass Harold den Thron an sich reißen sollte – ein Schluss, zu dem er durch sein unablässiges Studium des Menologiums gelangt war, und zwar ganz allein, ohne auch nur seine Schwester einzuweihen, bevor er ihn Harold an Edwards Sterbebett präsentierte –, hatte seinen Eigendünkel in neue Höhen katapultiert. Und nun, in den ersten Wochen und Monaten dieses entscheidenden Jahres 1066, zog er sich noch weiter von seiner Schwester und seinem Bischof zurück und beschäftigte sich noch besessener
mit seiner Prophezeiung. Er glaube, er sei quälend nah daran, sie vollständig zu verstehen, sagte er; und wenn er ihre Botschaft entschlüsselt habe, werde er sie dem König vorlegen und damit Harolds Handlungen während der nächsten kritischen Monate lenken. Godgifu fand seine hochtönende Großspurigkeit abwechselnd komisch und besorgniserregend.
    Aber Sihtric hatte ein Glaubwürdigkeitsproblem. Der Prophezeiung zufolge sollte der Komet in diesem März erscheinen, um den Übergang von einem Großen Jahr zum nächsten zu kennzeichnen. Doch der März ging ins Land, die Tage wurden länger und wärmer, und von einem haarigen Stern war nichts zu sehen.
    Sihtric zeigte seiner Schwester Briefe eines iberischen Gelehrten namens Ibn Sharaf. Wie es schien, hatte dieser Ibn Sharaf einen Vorfahren namens Ibn Zuhr, der als Sklave in England in den Besitz eines Exemplars des Menologiums gelangt war, vielleicht, indem er es auswendig gelernt hatte.
    »Es ist fantastisch«, sagte Sihtric. »Dieser Ibn Sharaf sitzt in Toledo, der alten Hauptstadt der Visigoten. Toledo ist der Mittelpunkt der Welt, was die Astronomie betrifft. Schau – das Menologium beschreibt neun Besuche von Kometen, und die stillschweigende Folgerung lautet, dass jedes Mal derselbe Komet zurückkehrt. Ibn Sharaf hat nun Jahrhunderte zurückreichende Aufzeichnungen maurischer Astronomen überprüft. Es gibt Beobachtungen, die zu allen ins Menologium eingebetteten Daten passen.
    Ibn Sharaf vertritt die Meinung, dass ein Komet weder
eine Wolke noch eine Art Stern ist, wie manche vermutet haben. Einige Astronomen haben die Kometen über den Himmel gleiten und dabei heller und dunkler werden sehen. Ibn Sharaf sagt, dass Kometen auf unsichtbaren Straßen zwischen den Himmelssphären unterwegs sind; sie werden heller, wenn sie sich dem Licht der Sonne nähern, und dunkler, wenn sie sich wieder entfernen. Ibn Sharaf versucht festzustellen, welche Form solche Bahnen haben, denn damit ließen sich die seltsamen Periodizitäten des Kometen womöglich erklären. Und man wüsste vielleicht, wann man mit dem nächsten Besuch rechnen kann.«
    »So wie es der Verfasser des Menologiums gewusst zu haben scheint«, sagte Godgifu langsam.
    »Für die Menschen der Zukunft«, sagte Sihtric pompös, »wird die Bahn eines Kometen am Himmel ein leicht lösbares Rätsel sein.«
    Das ärgerte Orm. »Tja«, sagte er, »selbst wenn es so ist, haben sie sich diesmal geirrt, oder nicht? Der März ist fast um, und dein prophezeiter Komet ist noch nicht erschienen.«
    »Er wird kommen«, versprach Sihtric. »Ibn Sharaf und seine Astronomen halten unter dem klaren Himmel von al-Andalus Ausschau nach ihm.« Aber es gelang dem kleinen, von nervöser Anspannung gezeichneten Mann nicht, seiner Stimme dabei einen zuversichtlichen Klang zu verleihen.

X
    In diesem Jahr fiel Ostern in die Mitte des Monats April.
    Harold kehrte mit seiner schwangeren neuen Gemahlin nach Lunden zurück und hielt seinen Osterhof in Westmynster ab. Er nutzte diese erste Gelegenheit, seine Macht und seinen Status zur Schau zu stellen. Festmahle wechselten sich ab mit Gottesdiensten, Empfängen und Treffen zur Erledigung der

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