Eroberer
»Siehst du das? Kavallerie.«
»Die Normannen haben uns also nicht die Zeit gegeben, die wir gebraucht hätten, um unsere Truppen zu versammeln.«
Sihtric grunzte. »Nein. Der Bastard ist hier, um uns anzugreifen. An Williams Stelle hätte ich vermutlich gezögert und verloren. Aber ich bin nicht William.«
»Dann müssen wir ihm standhaft die Stirn bieten.«
»Unmöglich ist das nicht. Diese Stellung lässt sich gut verteidigen.«
Godgifu schaute sich um und sah, dass Harold dank seiner gründlichen Kenntnis des Landes mit dieser grünen Erhebung namens Sandlacu eine kluge Wahl getroffen hatte. Um hierher zu kommen, würden die Normannen unebenes, sumpfiges Weideland überqueren müssen. Godgifu sah, wie sich englische Soldaten über das Feld vorarbeiteten; sie schleiften Äste und Zweige hinter sich her und errichteten in aller Eile Dämme aus Schlamm, um Flüsse zu stauen und das Gelände zu überschwemmen, sodass es noch unwegsamer wurde. Und selbst wenn die Normannen das Feld überwanden, würden sie anschließend diese Anhöhe erklimmen müssen, die zur Linken von Steilwänden
mit einem Flecken struppigen Waldes und zur Rechten von Sumpfland geschützt wurde.
Auf der Anhöhe entstand ein brodelndes Durcheinander, als Tausende von Engländern schimpfend und fluchend ihren Platz zu finden versuchten. In der Mitte nahmen mehrere Hundert von Harolds Huscarls ihre Plätze im vordersten Glied ein; sie hielten sich die runden Schilde stolz vor den Körper und hatten ihre Lanzen und Äxte in der Hand. Dahinter sammelten sich andere Huscarls mit den kräftiger aussehenden Fyrd-Männern zu weiteren Reihen, sieben oder acht Mann tief. Hinter diesem Block stellte sich Harolds Trupp unter seinen Standarten des Wessex-Drachen und des Goldenen Kriegers auf.
Seine Brüder nahmen mit ihren eigenen Männern die jeweiligen Plätze ein: Gyrth mit den Ostangeln zur Rechten der Engländer, Leofwine mit Männern aus Lunden und den benachbarten Grafschaften zur Linken. Als Fyrd-Mann kämpfte man stets unter seinem Herrn, seinem Thegn oder Bischof; Nachbar kämpfte neben Nachbar.
Harolds Truppen bestanden fast ausschließlich aus Fußvolk; er hatte nur wenige Bogenschützen, denn die versprochenen Krieger aus dem Land der Ostsachsen waren noch nicht eingetroffen. Aber vielleicht kam er mit den vorhandenen aus. Englische Heere kämpften nur auf eine Weise, nämlich so, zu Fuß, als solide Masse aus Schilden, Schwertern und Äxten.
Sihtric und Godgifu befanden sich zusammen mit anderen Priestern, Schreibern und Frauen außerhalb
der Masse der Kämpfer. Nun brachte Sihtric seine Schwester von der Flanke des Heeres zu dem Karren zurück, auf dem sie von Caldbec hergefahren waren.
Sie kamen nah an Harolds Trupp unter dessen Standarten vorbei. Selbst jetzt stritten die Godwines miteinander. Gyrth und Leofwine hatten eindringlich zu Geduld gemahnt, damit die nördlichen Earls zu ihnen stoßen und sie eine überwältigende Streitmacht versammeln konnten. Aber Harold schien auf einen Kampf erpicht zu sein; offenbar wollte er die Sache jetzt sofort beenden.
Die Stimmung unter den Huscarls war ebenfalls gereizt. Es waren große, schwere Männer, massig und imposant in ihren Kettenhemden, und in ihrer Ruhelosigkeit und ihrem Zorn waren sie Furcht einflößend. Aber im englischen Lager gingen Gerüchte um, dass William sein weißes päpstliches Banner mitgebracht hatte und dass er eine Reliquie um den Hals trug, einen schrumpeligen Finger in einem goldenen Kästchen: die Reliquie, auf die Harold seinen Meineid geschworen hatte. Indem er sein Heer nun in diese Schlacht führte, wurde Harold erneut meineidig. Die Männer unterhielten sich sogar mit leiser Stimme über den Fluch, mit dem der alte, sterbende König Harold angeblich belegt hatte.
Die Menschen waren außerordentlich religiös, und die Soldaten noch mehr als die meisten anderen. Eine Aura von Schicksal lag über dem Schlachtfeld, von übermenschlichen Kräften, denen die Körper der Krieger als Kanäle dienten: der Wille eines beleidigten
Gottes und – zumindest in Sihtrics Kopf – die Manipulationen des Webers. Und eine Wolke des Unbehagens hing über dem exkommunizierten König und zerstörte allmählich seine Autorität und seine Zuversicht.
Sihtric erreichte ihren Karren, stöberte im Gepäck und zog ein Kettenhemd aus einem Beutel.
Godgifu war erstaunt. »Was hast du vor?«
»Mein Bischof ist bereits unter den Männern. Ich bin eine Art Reserve.« Er seufzte.
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