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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Westen verlief. Das Prinzip war einfach; wenn man darauf
achtete, dass der Polarstern am Himmel niemals sank oder emporstieg, führte die Fahrt über die Oberfläche der gekrümmten Welt weder nach Norden noch nach Süden. Man konnte sich seinen Kurs auch anhand des Laufs von Sonne und Mond suchen. Es war schwerer zu erkennen, wie weit man nach Osten oder nach Westen fuhr, aber man schätzte es mit Hilfe der Besteckrechnung ab, so wie man auch die Tage zählte und Holzscheite über Bord warf, um die Geschwindigkeit zu messen. Die erfahreneren Seeleute besaßen schwerer verständliche Fähigkeiten. Anhand der Farbe des Wassers, der Fische und Meeresvögel, die sie sahen, ja sogar nach dem Geruch der Luft schienen sie imstande zu sein, sich ihren Weg übers Meer bis zum Land zu »erschnuppern«. Gudrid beneidete sie.
    Sie staunte darüber, wie gut das Schiff und seine Besatzung ihre Aufgaben bewältigten. Der Rumpf des Schiffes verdrehte sich in Reaktion auf die Stöße der Wellen. Als Produkt jahrhundertelanger Fahrten in den Fjorden war es wie ein geschmeidiges Tier, wie ein Otter oder ein Wal, perfekt an seine Umgebung angepasst. Und seine Begleiter, schlanke, im Meeresdunst nur undeutlich sichtbare Gebilde, sahen aus wie mythische Drachen, seltsame Kreaturen vom Rand der Realität, die über eine versöhnliche See zu einem neuen Übergangspunkt in der Geschichte eilten.
    Keinen halben Tag nach Bjarnis erster Schätzung kam die britische Küste in Sicht. Kurz darauf hatten sie ihre Position mit Hilfe der Karten ermittelt und begannen, südwärts Richtung Lindisfarena zu fahren.

XV
    Es gelang Aelfric, ein Treffen mit ihrem Vater, dem Thegn namens Bertgils, in Bebbanburh, der Küstenzitadelle des Königs, in die Wege zu leiten. Vielleicht würde sich eine Audienz beim König anschließen.
    Aber Belisarius war sich bewusst, dass die Tage verstrichen, während sie auf dieses Treffen warteten, und der Mai ging in den Juni über, den Monat, in dem der Menologiumsstrophe zufolge die Katastrophe eintreten sollte.
    Auf Aelfrics Vorschlag hin nahm Belisarius ein Geschenk für den König mit. Er wählte eines seiner kostbarsten Bücher aus, die Komödien des Griechen Aristophanes, ein jahrhundertealtes Werk, das angeblich nur wenige Generationen von Abschriften jünger war als das ursprüngliche Manuskript des Dramatikers.
    Vor Antritt der Reise legte Aelfric/Aelfflaed ihre Kutte ab. In Beinlingen und einem langen Kittel, mit einer Mütze auf den Haaren, die ihre Tonsur verbarg, wirkte sie weiblicher, als Belisarius erwartet hatte. Er bemerkte, dass Macson, der über Aelfrics »Lügen« hinweggekommen zu sein schien, sie mit neuerlichem Interesse ansah. Sie schärfte ihnen ein, sie während des Besuchs »Aelfflaed« zu nennen, denn ihr Mönchsdasein
sollte für alle am Hof des Schlächters ein Geheimnis bleiben. Belisarius würde sich Mühe geben, aber für ihn war sie untrennbar mit ihrem mutigen Pseudonym verbunden.
    Vom Damm nach Lindisfarena aus lag Bebbanburh einen halben Tagesritt an der Küste entlang im Norden. Die Zitadelle war ein gewaltiger, unförmiger Klumpen aus hartem, schwarzem Gestein direkt am Rand des Meeres; an seinem Fuß häuften sich von der Flut angespültes, getrocknetes Seegras und Entenmuscheln. Als Belisarius den Blick hob und die Augen gegen den hellen Himmel beschirmte, sah er ums Gipfelplateau herum eine abweisende Befestigungslinie. Sie stiegen eine in den Stein geschlagene Treppenflucht hinauf. Der Aufstieg strapazierte ihrer aller Lungen, aber der arme alte Boniface musste praktisch nach oben getragen werden.
    Belisarius fragte sich, wie dieser mächtige Felsbrocken überhaupt hierher gekommen war, welch ungeheure chthonische Kraft – göttlichen oder natürlichen Ursprungs – ihn durch das Gefüge einer sanfteren Landschaft aus Dünen und Seegras nach oben gestoßen hatte. Belisarius gefiel der Gedanke, dass in seinem Geist Raum genug war für einen Schimmer des Staunens über die Wunder der physischen Welt, die als Bühne für die kleinen Dramen der Menschheit diente.
    Vor einem imposanten Tor am Kopfende der Treppe gebot ihnen ein Wächter Halt, der ein Schwert mit Holzgriff schwang. Aelfric sprach in ihrer eigenen Sprache mit ihm.

    Nach Atem ringend, schaute Belisarius sich um. Die Oberseite des Felsbrockens stieg in einem schmalen Hang zu einem Plateau an, auf dem sich Gebäude drängten. Ein Teil des Hangs war mit Gras bewachsen; dort weideten Schafe. Der Blick von dieser

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