Eros und Asche
sich melden. Aber die Gefährtin hob ab, und der Anrufer nannte seinen Namen, und sie sagte nur Ja. Dann eine Pause, mit dem Geräusch der Fische, die sich Mücken geschnappt haben und wieder ins Wasser klatschen, und in diese Pause hinein von meiner Seite die Worte, die ich zuletzt von der jungen Russin gehört hatte, nachts auf dem Flur. Danach, als das Leid heraus war, gab H. mir die Fakten, wie er es getan hätte, rauchend, das konnte man hören, dazwischen immer wieder ein leises, alles Ungesagte erzählendes Räuspern. Wo sie gerade sei, fragte ich und erfuhr, dass sie auf einer Polizeiwache war. Also ein Tod, der auch anderen zu denken gab, aber die offenen Fragen blieben dann doch nur bei ihr und dem Anrufer. Ein sehr netter Kommissar, sagte sie und weinte erst in diesem Moment, und ich versprach, sie zu besuchen; das war schon alles. Und im Anschluss das Rudern ans Ufer, das Vertäuen des Schlauchboots auf einem Jeepdach, die Fahrt durch die Hohlwege nach oben, ohne Musik.
Sonntag, der Kursbeginn am Abend mit einem Essen im Garten – die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch reserviert (eine Drehbuchautorin, drei Marketing-Frauen, eine ältere Dame, die ganz für sich schreibt, ein Journalist und ein junger Filmemacher). Während des Essens stellen wir einander vor, und am Ende wird die Runde gebeten, bis morgen eine Seite zu schreiben, über das Ankommen an einem Ort wie diesem, nur nicht aus Anlass eines Erzählkurses; über die Leute, die man neu kennenlernt, über das, was sich anbahnen könnte. Dazu noch der Rat, die Erinnerung an andere Situationen des Sichkennenlernes zu bemühen und sich beim Schreiben gehen zu lassen.
Anbahnung – M. und ich haben uns im Internat kennengelernt, an einem offenen Fenster, beim Rauchen; er und H. sahen sich zum ersten Mal in einer Kneipe, M. hat sie dort buchstäblich aufgelesen – ihre Version –, um sie zu fotografieren. Und bei dem Paar, das in seinem Haus Leute, die schreiben wollen, zusammenbringt, spielte das Grauen eine Rolle. Mitte der Siebziger gab es an der Frankfurter Universität im Fachbereich Pädagogik ein Seminar über den Kindermörder Bartsch, Die zerstückelte Sprache . Der Tutor ging darin auf alle Details der Taten ein – zerstörte Körper, zerstörte Sprache, der Mangel als Laster, das dem Täter eingeschrieben ist, war mein Denkmodell (in Anlehnung an Jacques Lacan): die Mordtaten als misslungene Sprache, das zerstückelte Opfer als der nicht gefundene Andere des anderen. Also musste das Morden weitergehen, und am Ende saß nur noch U. in diesem Seminar, Ausdruck einer souveränen Art von Treue. (Und aus der Beschäftigung mit Jürgen Bartsch ging später die Novelle Ohne Eifer, ohne Zorn hervor, die vom Laster als Ersatz-Ich erzählt und für M. das am meisten geschätzte Freundesbuch war; und heute erstaunt es einen doch, wenn Schreiben als Verflüchtigung des Schreibenden oder die Unmöglichkeit des Eigentlichen innerhalb von Sprache wie eine Neuerfindung gehandelt wird.)
Am nächsten Tag die erbetenen Seiten, das Vorlesen und Besprechen; ich achte mehr auf die Dinge in den Zeilen, U. auf die Dinge zwischen den Zeilen. Erzählen: wie immer das Abtragen eines Erinnerungsberges, um ihn an anderer Stelle als Geschichte neu zu errichten, eine Schwerarbeit, die wir begleiten, von meiner Seite oft mit dem Weitertreiben der Anfänge, ausgehend vom besten Satz. Das Schlechte spüren die Teilnehmer eher als das Gelungene, zu dem sie kein Zutrauen haben; gute Sätze sind wie fremde knurrende Hunde. Und wer zugleich gut sein und gut schreiben will, ist schnell beim Wort zum Sonntag – für freies Erzählen gibt es keinen Segen, keinerlei Legitimation. Abendessen dann im Ort, am Wasser, und die Anfänge, die jeder hat, stehen schon mehr für den Einzelnen als Beruf oder Geschlecht; acht Geschichten sitzen da am Tisch, wie von selbst das Du zwischen allen (und U. ist mir in diesem Punkt wie immer um einen Tag voraus).
Zwei Arten von Du in Verbindung mit dem Freundestod. H. hatte mich gleich, aber wie von weitem so angeredet, ein flehentlicher Impuls, und einen Tag später, als ich mit M.s Mutter telefonierte – wir hatten uns nur wenige Male gesehen, zuletzt nach dem Abitur – ein ergreifendes Du, um dem Schmerz zu entfliehen, als einzige Überlebende in einer riesigen Hochhauswohnung voller Bücher an der Peripherie von Karlsruhe. Sie erzählte von M.s letztem Besuch und war erstaunlich gefasst; erst beim zweiten Anruf, kurz vor der Beerdigung,
Weitere Kostenlose Bücher