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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Schlafen; und nach dem Aufwachen, wie immer, der schwarze Kaffee, das Rauchen vor der Hütte, in der ein Radio läuft. Man sitzt sich gegenüber, die nackten Füße auf den Kiefernnadeln, die Hände auf dem Klapptisch, in der Mitte der gemeinsame Aschenbecher: ein letztes Ritual, jeder für sich und doch mit dem anderen; denn übereinander hergefallen sind die zwei, wie herauszuhören war, längst nicht mehr, M. hatte sich verausgabt, wie bei allem, das sich entfachen lässt und dann abbrennt. Aber es gab das Geschwisterliche, besonders in Momenten wie dem vor der Hütte, die wachenden Augen, der Blick auf die Hand, die den Becher zum Mund führt (dieselbe, die einst Zigaretten und Feuerzeug kaum verbergen konnte), bis der graue Kopf urplötzlich – M. soll es genauso vorhergesagt haben am Anfang des Urlaubs – vornüber kippt und Hand und Becher unter sich begräbt. Der Kaffee läuft über den abschüssigen Tisch, der Zeugin in den Schoß; die Spechte klöppeln weiter, das Radio läuft noch, und es riecht auch noch immer nach Harz um viertel nach zwei. Und vier Stunden später ist das Geschehene schon abrufbar auf einem Speicherplatz.
    Die Nachricht erreichte mich an einem der wenigen Tage fern von allem Schreiben, allem Denken und Mit-sichallein-Sein, nämlich umgeben von Familie und Freunden auf unserem Boot, an einem perfekten Spätsommerabend, zwanzigster August, mitten auf dem Gardasee treibend. Die Freunde und der Sohn waren im Wasser, die Tochter schlief mit dem Hund im Arm, U. (die nur ungern Boot fährt), sah zum Himmel, ob da vielleicht Gefahr drohe, aber nichts dergleichen an diesem Samstag, und trotzdem behielt sie die Wölkchen im Auge, während ich das Mobiltelefon in Betrieb nahm, um auf der anderen Seeseite, in Gargnano, einen Tisch zu reservieren, und bei der Gelegenheit die Mailbox abhörte. Es gab nur eine Mitteilung, und als vom anderen Ende oder woher auch immer mit etwas schleppender, bemühter Stimme die Worte Hier ist die Lebensgefährtin von deinem Freund kamen, war das bereits die Todesnachricht. Angeblich habe ich im selben Moment Nein gerufen, selbst erinnere ich mich nur an ein lautes, wohl verneinendes Ausatmen beim Rest des Satzes aus dem Mund einer Frau, die ich zuvor nur einmal für Sekunden am Telefon hatte. Er ist heute gestorben, fügte sie hinzu und bat um einen Rückruf. Dem folgte eine Nummer, jede Ziffer wie ein kurzer Laut, der einer Frau, die nach mir rief, als sei ich ihr Bruder, und ich floh vor diesen Lauten zu meiner eigenen Frau und sagte ihr, wer gestorben sei. Einige Male nur, bald dreißig Jahre her, waren sich U. und M. begegnet; sie mochte ihn nicht, sie hielt ihn für einen arroganten Autisten, aber meinen Schmerz auf die Nachricht von seinem Tod hin hat sie auf der Stelle verstanden. Sie klärte die Übrigen auf, leise und ernst, und wir setzten die Fahrt zum anderen Ufer fort. Die erste Welle von Erschrecken war vorbei, und überhaupt gab es da keinen konkreten Verlust, nur ein ganz und gar ungutes Gefühl, das im Grunde ein Verlust an Gefühl war. Wir hatten unseren Tisch auf einer Terrasse über dem Wasser, wir tranken Lugana und aßen Coregone, einen Fisch, der aus der Tiefe des Sees geholt wird, mit festem Fleisch. Als sei nichts geschehen, so verlief das Essen, eine Urlauberrunde. Erst spät am Abend, nachdem die anderen am Hafen von Torri abgesetzt waren, auf der Fahrt zur Boje, war der Benachrichtigte mit der Nachricht allein.
    Eine warme, windstille Nacht, das Wasser unbewegt, der Himmel dunkel, kaum ein Stern, ich brauchte die Taschenlampe, um die Boje zwischen anderen Bojen zu finden, den Motor im Leerlauf. Und als das Boot vertäut war und die Plane schon bis auf das Schlussstück über die offenen Flächen gespannt, schlüpfte ich noch einmal darunter und suchte in den CDs, die der Sohn für den Vater gebrannt hatte, das alte italienische Lieblingslied von M., Il Mondo . Es war ein Experiment, bei dem die Anordnung zählt – das Alleinsein auf dem Boot, das dunkle Wasser, die Musik –, ein Experiment, um ein elendes Gefühl, das elendste seit langem, in kürzester Zeit, drei Minuten, an seine Grenze zu treiben, ein Selbstversuch, der am Ende vollständig gelang. Und als Gegenmittel anschließend der See; ich ging schwimmen und tauchte ein paarmal ins Schwarze, etwas, das mir immer Angst gemacht hatte, in dem Fall aber Mut gab. Denn erst danach, mit noch tropfendem Haar auf dem Boot, der erbetene Rückruf, in der Brust ein Druck, als könnte M.

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