Eros und Asche
Bestandteil seiner Träume. Während meiner ersten Semesterferien in Frankfurt hatten M. und ich noch einmal für drei Wochen ein Zimmer geteilt, das Souterrainloch, das ich bewohnte. Und der Grund war, dass wir im März einundsiebzig für die Firma West-Getränke acht Stunden am Tag Bierkästen in die Keller trüber Lokale geschleppt haben, Knochenarbeit für drei Mark fünfzig die Stunde; ich brauchte das Geld, für ihn war es eher solidarisches Handeln, er fuhr damals schon seinen Volvo und trug die Maske des Schuftenden (und neben den Momenten der Liebe gab es von daher auch solche des Hasses: wegen seiner Besserstellung, die er gern herunterspielte und ebenso gern aufblitzen ließ wie das Feuerzeug von Dupont). Schließlich war die Arbeit getan, M. dankte mir für die Gastfreundschaft, höflich, ironisch, er drückte seine Zigarette aus und verschwand. Und als in Höhe des Souterrainfensters der Volvo ansprang, war etwas vorbei, das weit über diese drei Wochen hinausging, unsere letzte Gemeinsamkeit (ohne Einsatz von Fantasie); ich heulte und stammelte den Freundesnamen, wohl auch ein Moment von Liebe: die im Begriff war zu verfließen. Noch am selben Tag wurde ich krank, eine Erkältung mit hohem Fieber und Schüttelfrost, wie eine Fortsetzung dieses Stammelns (das ich erst viele Jahre später wieder erlebt habe, nun ausgelöst durch ein Verströmen von Liebe, als ich U. – kaum erwacht aus der Narkose nach einem Kaiserschnitt – unseren Sohn zeigte und wir beide nicht sprechen konnten).
Und zu den Momenten des Hasses gibt es nur ein unverrückbares Bild: das unserer einzigen, ingrimmigen Auseinandersetzung mit Armen und Beinen, Füßen und Fäusten, er siebzehn, ich sechzehn; alles andere war im Grunde harsche Zärtlichkeit. Ein Externer hatte M. und mir am Abend seine Vespa überlassen, beide wussten wir nicht recht damit umzugehen, und ich schwang mich einfach drauf und fuhr auch schon irgendwie los und hielt nicht mehr, um M. Gelegenheit zum Aufspringen zu geben. Ich fuhr eine halbe Stunde über die Wege zwischen Gaienhofen und Hemmenhofen, wo damals noch Otto Dix und seine letzte Geliebte einen toten Briefkasten unterhielten (an dem M. und ich teilhatten, indem wir die Briefe lasen und erneut versteckten), und als ich wiederkam, riss er mich von der Vespa wie der Infantrist den Reiter vom Ross und stürzte sich auf mich, und wir rangen erbittert, nachdem mich seine schmale Hand ins Gesicht getroffen hatte. Er war ein paar Zentimeter größer als ich und auch ein paar Kilo schwerer, er hatte kräftigere Beine, ich die stärkeren Arme, aber den stärken Willen, mich niederzuringen, hatte er an dem Abend, bis auch ich ihm ins Gesicht schlug, nicht fest, aber gezielt, und er augenblicklich aufhörte, mit dem Lächeln, das einem Todesurteil gleichkam. M. steckte sich eine Zigarette an und ging auf unser Zimmer, ich folgte ihm erst, als im Zimmer schon Musik lief, etwas wie Gerry Mulligan, kühl und fern, er ließ es die ganze Nacht laufen; eine Woche sprachen wir kein Wort. Dann von ihm ein erster, dem Gedächtnis eingeschriebener Satz: Ich schulde dir noch sechzig Pfennig.
Die Hausfreunde haben in Verona für das Abendessen eingekauft, nach einem Rezept des jungen Britenkochs Jamie, der auch die italienische Küche auf den Punkt bringen möchte, ein sogenanntes Armengericht aus dem ländlichen Süden, nur dass die Zubereitung Stunden dauert und am Ende das Ärmliche überwiegt. Und so bereichern wir das Essen schließlich mit Thunfisch aus der Büchse, alle schon angetrunken, und ich spüre die Versuchung, von M. und mir in Kolumbien anzufangen, von unseren Gängen durch Medellín und den Abenden in einer Cantina mit Tanz, auf dem Tisch Pistazienschalen, Bier und Kaffee, unter dem Tisch unsere wippenden Knie, auf dem Boden Asche und Kippen. (Einmal hatte ich M. von Asunción, Paraguay, erzählt, und er war in die Geschichte zwischen dem legendären Consul Weyer und einem jungen Schriftsteller aus Deutschland buchstäblich mit hineingeschlüpft; seine Sehnsucht nach Abenteuern war maßlos, daher konnte er sie auch kaum in Angriff nehmen.)
Endlich Sommerbeginn, an dem es keinen Zweifel mehr gibt – siebter Juni. Tagsüber Arbeit an der Novelle, und gegen Abend eine Bootsfahrt mit dem befreundeten Paar zu den Felswänden auf der anderen Seeseite, nördlich von Gargnano – dem Seeabschnitt, auf dem die Novelle spielt. Eine Stille dort wie im Gebirge, der See dunkelgrün und tief, man hört nur das
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