Eros und Asche
Bereich des Fading, jener leidvollen Prüfung für den Liebenden, bei der das Objekt, also er, sich ohne Gründe zurückzuziehen scheint, in einer oft rätselhaften, verletzenden Gleichgültigkeit, die sich gar nicht gegen den anderen richten muss, die eher eine Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Leben ist. Der Freund oder Geliebte entfernt sich dabei in einen vagen Raum (als verlöre man ihn im neuen Hauptbahnhof von Berlin), und man erschöpft sich bei dem Versuch, ihn aufzuspüren, doch der Betroffene erschöpft sich auch selbst in seiner Verflüchtigung; wenn man ihn schließlich wiedersieht oder auf einmal am Telefon hat, scheint er aus einem Schattenreich zu kommen. Als M. eines Abends aus einem Krankenhauszimmer anrief und den schreibenden Freund darum bat, der behandelnden Ärtzin ein Buch mit Widmung zu schicken, kam er aus dieser vagen, fernen Region, so vage wie das Wort, das bei der Gelegenheit zum ersten Mal fiel, Polyneuropathie. Eine genaue und zugleich dürftige Angabe, mit einer Stimme wie von einem Ende der Welt, das ein Gesunder nur postalisch, durch das Versenden eines Buchs, erreichen konnte; ein Dasein und Nichtdasein am Telefon, letztlich die fortgesetzte Verflüchtigung. Und bis auf eine Ausnahme blieb es dabei auch, und da war der Gesunde der scheinbar Entferntere (wieder unter den Colonaden am Malecón, Anruf Nummer zwei von dort, während M. in diesen Ausnahmeminuten förmlich nach mir oder dem, was er um mich herum vermutet hat, rief).
Erzähl von den Frauen, kam es mit der Plötzlichkeit, mit der er ein halbes Jahr später von dem versteckten See anfing, und ich bereute es schon, noch einmal seine Nummer gewählt zu haben, nur um zu sagen, dass es den knochigen Hund immer noch gab, oder um noch einmal die Sehnsucht in seiner Stimme zu hören: nach diesem Ort und vielleicht auch nach mir, nach uns beiden in Havanna, unter den Colonaden am Meer, nass von Gischt wie in dem Lokal auf der Klippe vor Puerto de la Cruz, ehe wir durch die Bananenpflanzung zu unserem Hotel gingen. Los, rief er und lachte heiser, als hätte ich schon losgelegt; er wusste nicht, wo ich stand – halb hinter einer der blassgelben Säulen, damit das alberne kleine, perfekte Gerät trocken bliebe. Ich hatte nur gesagt, ich sei noch in Havanna, dort sei früher Abend, mit Massen von Leuten, Musik und Gehupe, und in den alten Autos ganze Familien, schwarze, braune, weiße, und er fiel mir ins Wort, mit dieser Bitte oder Forderung, die im Grunde ein Witz war, einer seiner ernsten Witze über sich und die Welt, Erzähl von den Frauen, und da war’s schon zu spät oder wäre zu teuer gekommen, noch den Hund einzuschieben. Die seien überall, sagte ich, mit Anbruch der Dunkelheit säßen sie auf den Steinbänken am alten Paseo del Prado, der hinunter zum Malecón führt, und sie stehen in lichtlosen Haustoren, ein Kind auf dem Arm, oder auf den Balkonen verwaister Palais, neben sich ein altes Kofferradio, hinter sich Kerzenschein statt brennender Lüster, aber diese Angaben reichten ihm nicht, und ich sagte, leicht übertrieben, die allermeisten seien wunderschön, kraftvoll, dunkel und dabei zart oder einfühlsam aufgrund ihrer Bildung, mit Augen allerdings, die immer über das Meer zu blicken scheinen, bis nach Miami, und auch das genügte ihm nicht. Erzähl von einer, rief er, mehr im Ernst als im Spaß, und ich begann von einer zu erzählen, die mich am Vorabend angesprochen hatte, auch ein Kind auf dem Arm: ob ich ihr folgen wolle, mit viel Abstand, wegen der Polizei – es ist ein Polizeistaat, warf ich ein, sie knüppeln hier die Dreiradrikschafahrer nieder, wenn sie für ein paar Pesos Ausländer mitnehmen –, aber politische Dinge interessierten ihn nicht. Und wie war’s?, rief er, sag, nur gab es nichts zu sagen, ich hatte die junge Frau mit ihrem Kind zum Essen eingeladen, sogar Fotos von ihr gemacht, mit meiner Taschenkamera, darauf hatte sie bestanden; ein schöner Abend mit ein paar Worten Spanisch und ein paar Worten Englisch und von ihrer Seite mit einem Gedicht von Pablo Armando Fernández unter einem Foto von Commandante Che, der schon am selben Tisch gegessen hatte, in dem Jahr, als M. und ich uns kennenlernten, wenn sie die Widmung richtig übersetzt hat. Und dann?, rief er von seiner Bernsteinzimmerwohnung aus, schon etwas matter, rauchend im Bett, während ich kurz auf die Uhr sah. Fast zehn Minuten hatten wir schon geredet, und der Anrufer machte im Stillen eine idiotische Rechnung auf, als
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