Eros und Evolution
hundertprozentig überzeugenden Gründen (vermutlich in erster Linie wegen des Größenunterschiedes zwischen Männchen und Weibchen) glauben die meisten Anthropologen, daß die frühen Australopithecinen wie Gorillas und manche Pavianarten in Harems lebten, die von einzelnen Männchen dominiert wurden. 24
Dann aber, vor ungefähr drei Millionen Jahren, spaltete sich die menschliche Linie in zwei (oder mehr) Zweige auf. Robert Foley ist der Ansicht, daß die immer stärker von den Jahreszeiten abhängig werdenden Niederschläge die ursprüngliche Lebensweise für die Affenmenschen unhaltbar werden ließen, denn ihre Nahrung – Früchte, Samen und vielleicht Insekten – wurde während der trockenen Jahreszeit immer rarer. Der eine Zweig dieser Nachfahren entwickelte besonders starke Kiefer und Zähne, um mit einer Ernährung aus zunehmend zäher werdenden Pflanzen zurechtzukommen. Der Australopithecus robustus – auch als Nußknackermensch bezeichnet – konnte sich so mit festen Samen und zähen Blättern über die magere Jahreszeit hinweghelfen. Soweit man aus ihrer Anatomie schließen konnte, lebten Nußknackermenschen ebenso wie Schimpansen in Gruppen mit mehreren Männern. 25
Die andere Linie aber beschritt einen völlig anderen Weg. Ihre Mitglieder, die man der Gattung Homo zurechnet, wechselten zu einer fleischhaltigen Ernährung. Der erste wirklich als Mensch zu bezeichnende Vertreter dieser Gattung, der Homo erectus, lebte vor 1,6 Millionen Jahren. Er war vermutlich der größte Fleischverzehrer unter den Affen, den die Welt je erleben sollte. Man weiß dies aus Knochenfunden an seinen Lagerplätzen. Vielleicht hat er sich zunächst eher von übriggelassener Löwenbeute ernährt, bevor er Werkzeuge verwendete, um selbst Wild zu erlegen. Allmählich lernte er, sich in regenarmen Jahreszeiten mit Fleisch zu versorgen. Und, so Foley und P. C. Lee: »Die Gründe für die Umstellung auf eine fleischhaltige Ernährung waren ökologische, die Konsequenzen aber waren weitreichend und betrafen auch das soziale Gefüge.« Die Jagd oder mehr noch die Suche nach einer verlassenen Löwenbeute verlangte, daß die Männer sich von zu Hause entfernten und sich auf die Hilfe ihrer Mitstreiter verlassen konnten. Ob es nun eine Folge hiervon war oder nur Zufall, der männliche Körper jedenfalls begann, eine Reihe langsamer koordinierter Veränderungen zu durchlaufen. Der Schädel behielt seine Jugendform bis ins Erwachsenenalter: ein größeres Gehirn und einen kleineren Kiefer. Die Geschlechtsreife verzögerte sich allmählich, so daß die Kinder länger von den Eltern abhängig blieben. 26
Danach hat sich vermutlich die Lebensweise der Menschen über mehr als eine Million Jahre kaum geändert. Sie bewohnten das Grasland und die Savannen Afrikas, später dann auch Eurasiens und schließlich Amerikas. Sie machten Jagd auf Tiere und sammelten Früchte und Samen, verfügten innerhalb eines Stammes über komplexe Sozialbeziehungen und verhielten sich anderen Stämmen gegenüber feindselig. Don Symons bezeichnet diese Kombination von Ort und Zeit als »Umfeld evolutionärer Anpassung« (environment of evolutionary adaptedness, abgekürzt: EEA) und ist der Ansicht, daß es für die Entwicklung der menschlichen Psyche von zentraler Bedeutung war. An Gegenwart und Zukunft können wir nicht angepaßt sein, sondern lediglich an unsere Vergangenheit. Er gesteht allerdings bereitwillig zu, daß man nur schwer eine Aussage darüber machen kann, was für ein Leben die Menschen in jenem Umfeld geführt haben. Vermutlich lebten sie in kleinen Trupps; vielleicht waren sie Nomaden, sie ernährten sich sowohl von Fleisch als auch von Pflanzen, und vermutlich teilten sie einen großen Teil der Eigenarten moderner Zivilisationen: Ehe als Institution zur Aufzucht von Kindern, Liebe, Eifersucht, durch sexuelle Konkurrenz bedingte Gewalt zwischen Männern, eine Vorliebe der Frauen für Männer von gehobenem sozialem Rang, eine Vorliebe der Männer für junge Frauen, Kriegführung zwischen einzelnen Trupps und so weiter. Es gab mit großer Wahrscheinlichkeit eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung – Männer gingen zur Jagd, Frauen übernahmen das Sammeln –, eine Eigenart, die außer dem Menschen nur einige wenige Greifvögel entwickelt haben. Beim Volk der Ache in Paraguay zum Beispiel haben sich die Männer darauf spezialisiert, die Nahrung herbeizuschaffen, für die eine Frau, die noch ein Baby zu betreuen hat, nicht sorgen kann:
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