Eros und Evolution
Standes füllten«. Kirchenangehörige (enterbte jüngere Söhne) manipulierten die Sexualmoral, um den kircheneigenen Wohlstand zu erhöhen, oder gar, um sich selbst wieder Wohlstand und Titel zu verschaffen. Die Auflösung der Klöster durch Heinrich VIII., die Konsequenz seines Bruchs mit Rom, der wiederum eine Folge der römischen Mißbilligung seiner Scheidung von Katharina von Aragon war, die ihm keinen Sohn geboren hatte, ist eine Art Parabel für die Geschichte der Beziehungen zwischen Kirche und Staat. 56
Die Kontroverse zwischen Kirche und Staat ist nur eine der zahllosen historischen Episoden in dem Kampf gegen die Konzentration von Wohlstand. Das Erstgeburtsrecht war über viele Generationen hinweg das Hauptinstrument zur Erhaltung von Wohlstand – und dessen Polygamie-Potential. Es gibt aber noch andere Möglichkeiten. Die erste darunter ist die Ehe selbst. Eine reiche Erbin zu heiraten war schon immer der rascheste Weg zum Reichtum. Heiratsstrategien und Erstgeborenenrecht arbeiten in diesem Zusammenhang natürlich gegeneinander: Wenn Frauen nicht erben, dann bringt es keinen Gewinn, die Tochter eines reichen Mannes zu heiraten. In den Königshäusern Europas allerdings, bei denen in den meisten Fällen auch Frauen die Thronfolge antreten konnten (falls kein männlicher Erbe vorhanden war), war es häufig möglich, Vorteile aus der Eheschließung zu ziehen. Eleonore von Aquitanien brachte den britischen Königen ein ordentliches Stück Frankreich ein.
Der Spanische Erbfolgekrieg fand nur statt, weil man verhindern wollte, daß als Resultat einer strategischen Eheschließung ein französischer König den spanischen Thron erbte. Bis hin zu der aristokratischen Vorliebe für die Töchter amerikanischer Räuberbarone im England des zwanzigsten Jahrhunderts waren Allianzen zwischen einflußreichen Familien eine Kraft zur Konzentration von Reichtum.
Eine andere Möglichkeit, häufig praktiziert bei den Sklavenhalterdynastien des amerikanischen Südens, bestand darin, innerhalb der Familie zu heiraten. Nancy Wilmsen Thornhill von der University of New Mexico wies nach, daß die Männer in solchen Familien am häufigsten ihre Cousinen ersten Grades heirateten. Sie studierte die Genealogie von vier Südstaatenfamilien und stellte fest, daß mindestens die Hälfte aller Eheschließungen unter Verwandten stattfand, beziehungsweise, daß es oft zu einem Schwesterntausch kam (indem zwei Brüder zwei Schwestern heirateten). Bei Nordstaatenfamilien derselben Zeit dagegen fanden nur sechs Prozent aller Eheschließungen unter Verwandten statt.
Besonders reizvoll sind diese Ergebnisse deshalb, weil Thornhill sie postuliert hatte, bevor sie daran ging, sie nachzuweisen. Die Konzentration von Wohlstand eignet sich besser für Grundbesitz, dessen Wert darin liegt, daß er limitiert ist, als für Geschäftsvermögen, die in vielen Familien gleichzeitig geschaffen und verloren werden können. 57 Thornhill ging in ihrer Argumentation weiter und vertrat die Ansicht, daß so, wie für manche Leute ein Reiz darin bestehen mag, durch Eheschließungen ihren Wohlstand zu konzentrieren, für andere Leute ein ebensolcher Reiz darin bestehen kann, genau das zu verhindern. Und Könige verfügen mehr als jeder andere über die Möglichkeit, Motivation und Macht, ihre Wünsche zu verwirklichen. Dadurch wird auch die anderweitig rätselhafte Tatsache klar, daß Verbote inzestuöser Ehen zwischen Cousin und Cousine in manchen Gesellschaften so strikt und zahlreich sind, in anderen hingegen völlig fehlen. In jedem Fall ist es die stärker geschichtete Gesellschaft, die die Ehe am striktesten reguliert. Bei den brasilianischen Trumai, einem Volk mit einem hohen Maß an Gleichberechtigung, zuckt man anläßlich einer Heirat zwischen Cousins die Schultern. Bei den ostafrikanischen Massai, bei denen der Wohlstand sehr ungleich verteilt ist, wird eine solche Verbindung mit »schwerer Prügel« geahndet. Bei den Inkas wurden jedem, der die Tollkühnheit besaß, eine weibliche Verwandte (im weitesten Sinne) zu heiraten, die Augen ausgestochen. Der Herrscher machte dabei natürlich eine Ausnahme: Seine Königin war seine Vollschwester, und Pachacuti führte den Brauch ein, als König alle seine Halbschwestern zu heiraten. Thornhill schließt daraus, daß diese Regeln nichts mit Inzest, sondern vor allem anderen damit zu tun hatten, die Konzentration von Wohlstand in anderen Familien zu verhindern; in aller Regel nahmen die Könige sich selbst
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