Eros und Evolution
wird, sondern lediglich ein mögliches Einbringen fremder Kinder in die Familie – sogar die durch einen Ehebruch entstehende diesbezügliche Unsicherheit wird bestraft. Der Ehebruch eines Ehemanns hat keine solchen Folgen«. 48
Als in Thomas Hardys Roman Tess of the D’Urbervilles (deutsch: Tess von den d’Urbervilles) Angel Cläre seiner frischgebackenen Ehefrau Tess in der Hochzeitsnacht gesteht, er habe bereits vor der Hochzeit seine Erfahrungen gesammelt, reagiert sie erleichtert und erzählt ihm die Geschichte ihrer eigenen Verführung durch Alec d’Urberville und das früh verstorbene Kind, das sie von ihm bekam. Sie hielt beide Vergehen für gleichwertig:
»Verzeih mir, wie dir verziehen ist! Ich verzeihe dir, Angel.«
»Du – ja, du tust es.«
»Du aber verzeihst mir nicht?«
»Verzeihung paßt nicht zu dem Fall. Du warst ein Mensch, jetzt bist du ein anderer. Wie kann Verzeihung eine so groteske – Gaukelei erfassen?«
Cläre verließ sie noch in derselben Nacht.
Höfische Liebe
Menschliche Paarungssysteme werden in hohem Maße von der Möglichkeit zur Vererbung von Reichtum kompliziert. Die Tatsache, daß Status oder Reichtum von den Eltern ererbt werden kann, ist kein ausschließlich menschliches Merkmal. Manche Vögel übernehmen die elterlichen Territorien, nachdem sie geholfen haben, Folgebruten großzuziehen. Hyänen erben ihren Rang von ihren Müttern (bei den Hyänen sind die Weibchen dominant und oftmals auch größer); ebenso verhält es sich bei Affen und Menschenaffen. Menschen aber haben diesen Brauch zur Kunst erhoben. Und in der Regel demonstrieren sie ein weit größeres Interesse daran, Wohlstand an Söhne weiterzugeben, als daran, ihn Töchtern zu überlassen. Oberflächlich betrachtet, erscheint das merkwürdig. Jemand, der seinen Reichtum seinen Töchtern vermacht, sieht ihn mit großer Wahrscheinlichkeit an seine Enkelinnen übergehen, wobei er sich in diesem Fall einer Verwandtschaft sicher sein kann.
Überläßt er seinen Reichtum hingegen seinem Sohn, verbleibt dieser bei Kindern, die seine Enkel sein können oder auch nicht. Bei den wenigen Kulturen mit weiblicher Erbfolge herrscht in der Tat ein solcher Grad von Promiskuität, daß Männer sich ihrer Vaterschaft nicht sicher sein können. Hier spielen Onkel die Rolle des Vaters für ihre Neffen. 49 In Klassengesellschaften ziehen daher die Ärmeren häufig ihre Töchter den Söhnen bei der Regelung der Erbschaft vor. Dies aber hat nichts mit der Sicherheit der Vaterschaft zu tun, sondern damit, daß weniger wohlhabende Töchter mit größerer Wahrscheinlichkeit Nachwuchs haben werden als weniger wohlhabende Söhne. Für den Sohn eines feudalen Lehnsmannes bestand eine reelle Chance, kinderlos zu bleiben, während seine Schwester an das örtliche Schloß beordert wurde und unter Umständen zur fruchtbaren Konkubine des dortigen Herrschers avancierte. Es läßt sich tatsächlich zeigen, daß im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert die Bauern in Bedfordshire ihren Töchtern mehr hinterließen als ihren Söhnen. 50 Im Ostfriesland des achtzehnten Jahrhunderts hatten die Bauern in stagnierenden Populationen merkwürdigerweise mädchenlastige Familien, während die Bauern in expandierenden Populationen knabenlastige Familien hatten. Es fällt schwer, nicht der Schlußfolgerung zu erliegen, dritte und vierte Söhne hätten eine Belastung für die Familie dargestellt (es sei denn, es fanden sich neue Möglichkeiten zur Existenzsicherung), und daß man bei der Geburt entsprechend handelte, damit in stagnierenden Populationen die Familien mädchenlastig wurden. 51
An der Spitze der Gesellschaft jedoch sind die Verhältnisse umgekehrt.
Mittelalterliche Lords verbannten viele ihrer Töchter in Klöster. 52 In der ganzen Welt haben reiche Männer stets ihre Söhne bevorzugt, häufig sogar nur einen einzelnen. Ein wohlhabender oder mächtiger Vater, der seinen Söhnen seinen Status hinterläßt beziehungsweise die Mittel, diesen zu erlangen, vererbt ihnen damit auch die Mittel, erfolgreiche Verführer zu werden und zahlreiche uneheliche Söhne zu produzieren. Für wohlhabende Töchter existiert ein solcher Vorteil nicht.
Daraus ergibt sich eine merkwürdige Konsequenz: Das Verdienstvollste, was ein Mann oder eine Frau tun können, ist damit, einem wohlhabenden Mann einen legitimen Erben zu schenken. Eine solche Logik legt nahe, daß Verführer anspruchsvoll sein sollten. Sie sollten sich für die Frauen mit den besten Genen
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