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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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entwicklungsgeschichtlich betrachtet winzigen – Augenblick Hunderte von Hunderassen vom Chihuahua bis hin zum Bernhardiner heranzüchtete. Das allein beweist, daß die Evolution nicht so rasch abläuft, wie sie könnte. In Wirklichkeit ist der Quastenflosser alles andere als ein Flop, er ist ein Erfolg. Er ist unverändert geblieben – ein Entwurf, der ohne Neuerungen auskommt, so etwas wie ein VW-Käfer. Die evolutionäre Entwicklung ist kein Ziel, sondern ein Mittel zur Lösung von Problemen.
    Weismanns Nachfolger, insbesondere Sir Ronald Fisher und Hermann Muller, konnten der teleologischen Falle entrinnen, indem sie argumentierten, die Evolution sei, wenn schon nicht vorbestimmt, so doch wenigstens essentiell. Arten mit asexueller Vermehrung seien im Nachteil und würden im Wettstreit mit Arten, die sich sexuell vermehren, unterliegen. Die beiden Wissenschaftler bezogen das Genkonzept in die Weismannsche Argumentationsweise ein, und so präsentierten Fishers Buch aus dem Jahre 1930 8 und Mullers Buch aus dem Jahre 1932 9 ein anscheinend wasserdichtes Argument für die Vorteile der Sexualität.
    Muller ging sogar so weit, nachdrücklich zu erklären, das Problem sei durch die neue Wissenschaft der Genetik als gelöst zu betrachten. Arten mit sexueller Fortpflanzung teilen ihre neu erschaffenen Gene mit allen anderen Individuen, Arten, die sich asexuell vermehren, tun das nicht. Arten, die sich sexuell vermehren, sind damit so etwas wie eine Gruppe von Erfindern, die ihre Kräfte bündeln. Würde der eine eine Dampfmaschine entwickeln und der andere das Schienensystem, dann könnten beide zusammen etwas erreichen. Arten, die sich asexuell vermehren, benähmen sich wie Gruppen eifersüchtiger Erfinder, die ihr Wissen niemals teilten, so daß am Ende Dampflokomotiven auf Straßen fahren und Pferde ihre Karren auf Schienen ziehen müßten.
    Im Jahre 1965 modernisierten James Crow und Motoo Kimura die Fisher-Muller-Logik, in dem sie anhand mathematischer Modelle nachwiesen, wie zwei seltene Mutationen in einer Spezies mit sexueller Vermehrung zusammenkommen könnten, in einer Spezies mit asexueller Vermehrung hingegen nicht. Die Art, die sich sexuell fortpflanzt, muß nicht darauf warten, daß zwei seltene Ereignisse im gleichen Individuum zusammenkommen, sondern sie kann aus zwei verschiedenen Individuen kombinieren. Dies, so sagten sie, garantiere der sich sexuell fortpflanzenden Spezies einen Vorteil gegenüber der asexuellen Spezies, solange erstere mindestens eintausend Individuen umfaßt. Alles schien in Ordnung. Sexualität ließ sich als Mittel zur Evolution erklären, und die moderne Mathematik gab dem Ganzen eine neue Dimension von Präzision. Man konnte den Fall getrost als gelöst betrachten. 10

Der größte Rivale des Menschen ist der Mensch
    Dabei wäre es geblieben, hätte nicht ein schottischer Biologe namens V. C. Wynne-Edwards einige Jahre zuvor, nämlich 1962, ein voluminöses und einflußreiches Buch verfaßt. Wynne-Edwards hat der Biologie einen enormen Dienst erwiesen, denn er deckte einen Riesenirrtum auf, mit dem sich der Kern aller Evolutionstheorien seit Darwins Tagen systematisch infiziert hatte. Er deckte diesen Trugschluß übrigens nicht auf, um ihn zu entlarven, sondern weil er ihn für richtig und wichtig hielt.
    Doch gerade dadurch nannte er ihn zum erstenmal beim Namen. 11 Dieser Trugschluß lebt in der Art und Weise weiter, in der viele Laien über Evolution reden. Wir sprechen auch untereinander fröhlich über Evolution als einer Frage des »Überlebens einer Art«. Wir sagen damit gleichzeitig aus, daß es Arten sind, die miteinander konkurrieren, daß Darwins »Überlebenskampf« zwischen Sauriern und Säugetieren stattfindet, zwischen Hasen und Füchsen oder zwischen Menschen und Neandertalern. Wir bedienen uns der Vorstellung von Nationalstaaten und Fußballmannschaften: Deutschland gegen Frankreich, Heimteam gegen Rivalen.
    Charles Darwin selbst glitt gelegentlich in diese Denkweise ab. Gleich der Untertitel von The Origin of Species (deutsch: Die Entstehung der Arten) spricht von der »Erhaltung begünstigter Rassen«. 12 Sein Hauptinteresse galt jedoch dem Individuum und nicht der Art. Jedes Lebewesen unterscheidet sich von jedem anderen. Manche Organismen überleben oder gedeihen leichter als andere und hinterlassen mehr Junge. Wenn solche Dinge erblich sind, ist eine allmähliche Veränderung der Spezies unumgänglich. Darwins Überlegungen wurden später mit Gregor

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