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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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einwickeln, von »So-ist-es-nun-einmal«-Geschichten, wie Stephen Jay Gould von der Harvard University sie nannte. Manchmal, erklärt Gould, sind Dinge zufällig so, wie sie sind. Goulds eigenes Beispiel hierfür ist der dreieckige Zwickel, der sich über zwei rechtwinklig zueinanderstehenden Kathedralenbögen ergibt und selbst keine Funktion hat, sondern lediglich ein Nebenprodukt ist, wenn man eine Kuppel auf vier Bögen gründet. Die Zwickel zwischen den Bögen von St. Markus in Venedig sind nicht absichtlich geformt worden, sie sind vorhanden, weil es keine Möglichkeit gibt, zwei Bögen benachbart anzuordnen, ohne dabei einen Zwischenraum zu erzeugen. Das menschliche Kinn ist möglicherweise auch so ein »Zwickel« – es hat keine Funktion, ergibt sich aber daraus, daß wir Kiefer haben. Ebenso ist die Tatsache, daß Blut rot ist, mit Sicherheit ein photochemischer Zufall und keine Frage des Designs. Vielleicht war Sexualität ein solcher »Zwickel«, ein entwicklungsgeschichtliches Relikt aus Zeiten, als sie noch einem bestimmten Zweck diente. Genauso wie Kinn, kleine Zehen und Blinddarm hat sie nun keinen Zweck mehr, ist aber nur schwer loszuwerden. 22
    Diese Begründung für die Existenz von Sexualität überzeugt aber recht wenig, denn es gibt nur wenige Tiere und Pflanzen, die Sexualität abgeschafft haben oder sich ihrer nur selten bedienen. Wie steht es beispielsweise mit Wasserflöhen? Über viele Generationen hinweg vermehren sich Wasserflöhe asexuell: Es gibt nur Weibchen, die wiederum Weibchen zur Welt bringen und sich niemals paaren. Wenn sich der Tümpel allerdings allmählich mit Wasserflöhen füllt, beginnen einige von ihnen, Männchen zur Welt zu bringen, die sich mit anderen Weibchen paaren und »Dauereier« produzieren, die am Rande des Tümpels ruhen und sich regenerieren, wenn er wieder Wasser führt. Wasserflöhe können die Sexualität also »an- und abschalten«, was darauf hinzuweisen scheint, daß die Sexualität, außer zum Evolutionsgeschehen beizutragen, noch einen anderen Sinn haben muß. Wenn ein Wasserfloh Nachkommen produzieren will, ist ihm das – zumindest zu bestimmten Zeiten – den Einsatz von Sexualität wert.
    Wir stehen also weiterhin vor einem Rätsel. Sexualität dient der Art, allerdings auf Kosten des einzelnen. Einzeltiere können sie abschaffen und ihre Rivalen mit sexueller Vermehrung zahlenmäßig rasch überrunden. Aber sie tun das nicht. Sexualität muß sich also auf irgendeine geheimnisvolle Art sowohl für das Individuum als auch für die Art »auszahlen«. Aber wie?

Unwissenheit als Herausforderung
    Bis Mitte der siebziger Jahre blieb die von Williams entfachte Diskussion im verborgenen. Ihre Vorreiter schienen recht zuversichtlich bei den Versuchen, das Dilemma aufzulösen. Doch Mitte der siebziger Jahre war dies ein für allemal vorbei: Zwei Wissenschaftler warfen einen Fehdehandschuh, den andere Biologen einfach aufheben mußten. Einer von beiden war Williams selbst, der andere Maynard Smith. 23 »Die Evolutionstheorie steht am Rande einer tiefen Krise«, stellte Williams in seinem neuen Buch Sex and Evolution melodramatisch fest. Doch während es sich bei dieser Schrift um eine geistreiche Würdigung verschiedener möglicher Theorien über die Existenz von Sexualität handelte, einen Versuch, die Krise zu entschärfen, war Maynard Smiths neues Buch The Evolution of Sex das genaue Gegenteil davon. Es dokumentierte seine Ratlosigkeit und Verwirrung. Wieder und wieder kam Maynard Smith auf den enormen Preis der Sexualität zu sprechen: die doppelte Überlegenheit der asexuellen Fortpflanzung – zwei Jungfrauen mit parthenogenetischer Vermehrung können doppelt so viele Kinder haben wie eine Frau und ein Mann. Wieder und wieder erklärte er, dieser Sachverhalt stehe unüberwindbar allen herkömmlichen Theorien entgegen.
    »Ich fürchte, der Leser wird diese Modelle möglicherweise unzutreffend und unbefriedigend finden«, schrieb er, »aber sie sind die besten, die wir haben.« Und in einem anderen Artikel: »Es bleibt das Gefühl, irgendein essentieller Aspekt des Problems werde ständig übersehen.« 24 Durch seine nachdrückliche Betonung, daß es in keiner Weise gelöst sei, hatte Maynard Smiths Buch eine elektrisierende Wirkung. Die Veröffentlichung dieser Schrift war eine demütige und ehrliche Geste.
    Die Versuche, die Existenz von Sexualität zu erklären, haben sich seither schwindelerregend vermehrt. Dem außenstehenden Beobachter des

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