Eros und Evolution
den ungünstigen Mutationen eine günstige gibt, eine echte Verbesserung. Die Mutation zum Beispiel, die der Sichelzellenanämie zugrunde liegt, ist, wenn man beide Kopien des Gens trägt, unter Umständen tödlich. Da sie aber gleichzeitig Immunität gegen Malaria verleiht, hat sich diese Mutation in einigen Teilen Afrikas massiv ausbreiten können.
Über viele Jahre hinweg haben Genetiker sich auf günstige Mutationen konzentriert und Sexualität als eine Möglichkeit betrachtet, diese innerhalb der Population zu verteilen, ganz ähnlich wie die »gegenseitige Befruchtung« mit guten Ideen, die zwischen Universitäten und Industrie vor sich geht. Gerade so wie die Technologie »Sexualität« braucht, um Neuerungen von außen einzubringen, so wird sich auch ein Tier oder eine Pflanze, die nur auf ihre eigenen Erfindungen angewiesen sind, nur sehr langsam erneuern. Sehr viel rascher kommen sie vorwärts, wenn sie die Erfindungen anderer Tiere und Pflanzen erbitten, ausleihen oder stehlen: Die Gene in die Hand zu bekommen, ähnlich wie Firmen Erfindungen voneinander kopieren, das ist die Lösung. Pflanzenzüchter, die versuchen, einen hohen Ertrag bei Reispflanzen mit Kurzstieligkeit und Resistenz gegen Krankheiten zu kombinieren, verhalten sich wie Fabrikanten, die Zugang zu vielen verschiedenen Erfindern haben. Züchter asexueller Pflanzen müssen abwarten, bis sich die Neuerungen allmählich in einer Linie vereinigen. Einer der Gründe, weshalb sich Champignons in den vergangenen drei Jahrhunderten ihrer Kultivierung so wenig verändert haben, besteht darin, daß sie sich asexuell vermehren und somit keine selektive Züchtung möglich ist. 33
Der überzeugendste Grund für das Ausleihen von Genen ist der, daß man dabei sowohl von der Erfindungsgabe anderer als auch von der eigenen profitiert. Sexualität führt Mutationen zusammen und arrangiert Gene pausenlos zu neuen zufälligen Kombinationen. Ein Vorfahr der Giraffen mag beispielsweise einen längeren Hals entwickelt haben, ein anderer dagegen längere Beine. Beides zusammen war besser als eines allein.
Eine solche Argumentationsweise verwechselt jedoch Ursache und Wirkung. Die Vorteile liegen viel zu weit in der Zukunft; sie treten erst nach einigen Generationen in Erscheinung, bis dahin hätte jeder Konkurrent mit asexueller Vermehrung seine sich sexuell vermehrenden Rivalen längst überrundet. Im übrigen wäre die Sexualität, da sie doch so gute Genkombinationen zusammenwürfeln kann, vermutlich noch leistungsfähiger bei der Zerstörung bereits vorhandener Kombinationen. Das einzige, was man bei Organismen mit sexueller Fortpflanzung ganz sicher sagen kann, ist, daß ihr Nachwuchs sich von ihnen unterscheidet – wie so mancher Caesar, Bourbon und Plantagenet zu seiner Enttäuschung feststellen mußte. Pflanzenzüchter bevorzugen Weizen- oder Maissorten mit männlicher Sterilität, die ihre Samen ohne sexuelle Vorgänge produzieren, denn auf diese Weise können sie sicher sein, daß ihre guten Sorten gut bleiben.
Es ist nachgerade die Definition von Sexualität, daß sie Genkombinationen auftrennt. Die Parole der Genetiker zum Thema Sexualität lautet: Sexualität vermindert »Kopplungsungleichgewichte«. Was sie damit sagen wollen ist, daß Gene, die miteinander verknüpft sind – wie blaue Augen und blondes Haar –, ohne Rekombination auf ewig miteinander verknüpft blieben und es niemals jemanden gäbe, der blaue Augen und braunes Haar oder blondes Haar und braune Augen hat. Dank der Sexualität ist das sagenhafte Zusammenspiel in demselben Moment, in dem es geschaffen wird, auch schon wieder verloren. Sexualität gehorcht eben nicht dem berühmten Gebot: »Repariere nichts, was nicht kaputt ist.« Sie vergrößert das Chaos. 34
Ende der achtziger Jahre gab es ein letztes Wiederaufleben des Interesses an Theorien zum Thema »vorteilhafte« Mutationen. Mark Kirkpatrick und Cheryl Jenkins von der University of Texas beschäftigten sich dabei nicht mit dem Aspekt, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß zwei getrennte Erfindungen zur gleichen Zeit gemacht werden, sondern mit der Chance, dieselbe Sache zweimal zu erfinden. Angenommen, blaue Augen verdoppeln die Fruchtbarkeit, so daß Leute mit blauen Augen doppelt soviel Kinder bekämen wie Leute mit braunen Augen. Angenommen aber auch, zu Beginn habe jedermann braune Augen. Die erste Mutation bei einer braunäugigen Person wäre folgenlos, da das Gen für blaue Augen rezessiv ist und von einem
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