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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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alle möglichen, sonst eher harmlosen Bakterien und Viren, die bei vielen von uns friedlich im Körper schlummern, im Verlauf dieser Krankheit schlagartig aggressiv werden. Zu einem Teil ist das auf die Tatsache zurückzuführen, daß AIDS eine Krankheit des Immunsystems ist und dessen Kontrollfunktion außer Kraft setzt, aber das Ganze ergibt auch einen evolutionsbiologischen Sinn: Droht der Wirtsorganismus zu sterben, dann vermehren sich die Keime, so rasch sie können, um ihr Überleben zu sichern. Solche sogenannten opportunistischen Infektionen treffen einen nur, wenn man schon »unten« ist. Ein Wissenschaftler vertritt sogar die Auffassung, die Kreuzreaktivität des Immunsystems (d. h. die Tatsache, daß die Infektion durch einen Parasitenstamm zur Resistenz gegenüber einem anderen Stamm führt) sei unter Umständen der Trick, mit dem ein Parasit rivalisierenden Artgenossen die Tür vor der Nase zuschlage, sobald er drinnen ist. 25
    Wenn es sich für einen Parasiten auszahlt, beim Auftauchen eines rivalisierenden Parasiten zugrunde zu gehen, dann zahlt es sich für den Wirtsorganismus aus, die Kreuzinfektion mit zwei Parasitenstämmen zu verhindern. Und nie ist die Gefahr einer Kreuzinfektion größer als während sexueller Vorgänge. Ein Spermium, das mit einem Ei fusioniert, riskiert, seine Bakterien- und Virenlast ebenfalls einzuschleppen; das aber würde die Parasiten, die bereits im Ei schlummern, aufwecken und einen Machtkampf auslösen, in dessen Verlauf das Ei erkranken oder sterben würde. Um dies zu verhindern, ist das Spermium bestrebt, möglichst überhaupt kein Material ins Ei einzuschleppen, in dem sich Bakterien oder Viren aufhalten könnten. Es gibt nur seinen Kern an das Ei ab. Safe Sex, im wahrsten Sinne des Wortes.
    Diese Theorie wird schwer zu beweisen sein, Unterstützung erfährt sie allerdings durch das Pantoffeltierchen Paramecium, ein Protozoon (ein einzelliger Organismus), das sich durch Konjugation fortpflanzt, das heißt, indem es Kerne durch einen engen Schlauch an eine andere Zelle übermittelt. Diese Methode ist hygienisch einwandfrei in dem Sinne, daß nur der Kern durch den Schlauch transportiert wird. Die beiden Paramezien sind nur etwa zwei Minuten lang miteinander verbunden; eine längere Paarungszeit würde das Risiko bergen, daß auch Zytoplasma durch den Schlauch gelangt. Der Schlauch ist für den Kern sogar beinahe zu eng, er muß sich regelrecht hindurchzwängen. Und es ist möglicherweise kein Zufall, daß Paramecium und seine Verwandten die einzigen Lebewesen sind, bei denen Gene in extrem kleinen Kernen gelagert werden, von denen zum täglichen Gebrauch größere Arbeitskopien hergestellt werden. 26

Zeit für eine Entscheidung
    Geschlecht ist somit eine Erfindung, die dazu beitragen soll, den Konflikt zwischen den zytoplasmatischen Genen beider Elternteile zu bewältigen. Statt den Nachwuchs durch einen solchen Konflikt zu gefährden, wurde eine sinnvolle Übereinkunft ausgehandelt: Sämtliche zytoplasmatischen Gene werden von der Mutter gestellt, vom Vater kommen überhaupt keine. Dadurch wurden die väterlichen Keimzellen kleiner und hatten die Möglichkeit, zahlreicher und beweglicher zu werden – ein klarer Vorteil, wenn es darum geht, ein Ei zu erreichen.
     
    Das Ganze erklärt nun zwar, weshalb es zwei Geschlechter gibt, eines mit großen und eines mit kleinen Keimzellen, es erklärt aber nicht, weshalb nicht jedes Lebewesen beide Geschlechter an Bord haben kann. Warum sind Menschen keine Hermaphroditen? Wäre ich eine Pflanze, stellte sich diese Frage wohl nicht: Die meisten Pflanzen sind Hermaphroditen. Dem liegt ein allgemeines Prinzip zugrunde: Bewegliche Lebewesen sind zweihäusig und getrenntgeschlechtlich, seßhafte Lebewesen wie Pflanzen und Entenmuscheln dagegen sind Hermaphroditen. Vom ökologischen Standpunkt aus betrachtet ist das sinnvoll. Unter der Bedingung, daß Pollen leichter sind als Samen, kann eine Pflanze, die nur Samen produziert, Nachkommen nur in ihrer direkten Umgebung erzeugen. Eine Pflanze dagegen, die auch Pollen produziert, kann Pflanzen befruchten, die weit entfernt sind. Das Gesetz der fallenden Profitrate gilt für Samen, nicht aber für Pollen.
    Das erklärt allerdings noch immer nicht, weshalb Tiere eine andere Route gewählt haben. Die Antwort finden wir bei jenen murrenden Organellen, die am Eingang zurückbleiben müssen, wenn ein Spermium ins Ei eindringt. Beim männlichen Geschlecht befindet sich jedes Organellen-Gen

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