Eros und Evolution
Selbstmordtendenzen (im Minus-Geschlecht) werden also überleben. Schon bald käme jede Abweichung vom Eins-zu-eins-Verhältnis zwischen Tätern und Opfern dem selteneren Geschlecht zugute und berichtigte das Ergebnis automatisch. Damit sind zwei Geschlechter erfunden: Täter, die Organellen zur Verfügung stellen, und Opfer, die das nicht tun.
Laurence Hurst aus Oxford verwendet diese Argumentation, wenn er postuliert, die Existenz zweier Geschlechter sei automatisch die Folge sexueller Vorgänge, die auf der Verschmelzung von Gameten beruhen.
Das heißt, man findet überall dort zwei Geschlechter, wo Sexualität darin besteht, daß zwei Zellen miteinander fusionieren wie bei Chlamydomonas und den meisten Tieren und Pflanzen. Dort, wo Sexualität gleichbedeutend ist mit Konjugation – der Bildung einer schlauchförmigen Verbindung zwischen zwei Zellen, durch die Gene hindurchtransportiert werden – und nicht in der Verschmelzung zweier Zellen besteht, gibt es keine Konflikte und somit keinen Bedarf für die Existenz von Täter- und Opfergeschlechtern. Und so gibt es denn bei den Arten mit »Konjugationssexualität« wie Wimperntierchen und Pilzen jede Menge verschiedener Geschlechter. Bei den Arten, bei denen Sex mit der Verschmelzung zweier Zellen einhergeht, gibt es hingegen nahezu ausnahmslos zwei Geschlechter. In einem besonders hübschen Fall vereint ein sogenannter »hypotricher« Ziliat sogar beide Möglichkeiten in sich.
Im Falle der Fusion verhält er sich, als hätte er zwei Geschlechter, im Falle der Konjugation verfügt er über viele Geschlechter.
Im Jahre 1991, gerade in dem Moment, als er letzte Hand an diese nette Geschichte legte, stolperte Hurst über einen Sachverhalt, der ihr zu widersprechen schien: Ihm kam eine Schleimpilzform unter, die dreizehn Geschlechter aufwies und bei der es dennoch zur Fusionssexualität kam. Er hakte nach und stellte fest, daß diese dreizehn Geschlechter hierarchisch angeordnet sind. Geschlecht Nummer dreizehn stellt grundsätzlich die Organellen, gleichgültig, mit wem es sich paart. Geschlecht Nummer zwölf stellt nur dann die Organellen, wenn es sich mit Geschlecht Nummer elf oder einem in der Hierarchie noch tiefer stehenden Geschlecht paart, und so weiter. Das funktioniert genauso gut, als gäbe es nur zwei Geschlechter, ist aber um einiges komplizierter. 23
Safe-Sex-Tips für Spermien
Ebenso wie ein Großteil des Tier- und Pflanzenreichs praktizieren auch wir Fusionssex und haben zwei Geschlechter. Doch handelt es sich bei uns um eine leicht modifizierte Form: Das männliche Geschlecht liefert seine Organellen nicht Mördern in die Hände, sondern es läßt sie an der Grenze zurück. Ein Spermium transportiert nur seine Kernladung, eine Mitochondrienmaschine und einen Flagellenpropeller. Jene Zellen, aus denen die Spermien hervorgehen, gehen recht weit in ihrem Bestreben, vor der Fertigstellung der Spermienzelle alles überflüssige Zytoplasma zu entfernen, und lassen sich dessen Absorption einiges kosten. Sogar Propeller und Maschine werden abgeworfen, wenn das Spermium auf ein Ei trifft, und es bleibt nur der Kern übrig.
Hurst erklärt dies, indem er einmal mehr das Thema Krankheiten auf den Tisch bringt. 24 Organellen sind nicht die einzigen genetischen Rebellen im Zellinneren. Es gibt dort auch Bakterien und Viren. Und für sie gilt genau dieselbe Logik wie für Organellen. Wenn zwei Zellen miteinander fusionieren, dann führen die in ihnen lebenden rivalisierenden Bakterien einen Kampf auf Leben und Tod. Findet ein Bakterium, das bislang glücklich und zufrieden in einem Ei lebte, seinen Platz plötzlich von einem durch ein Spermium eingeschleusten Rivalen besetzt, so muß es mit diesem konkurrieren, und das kann bedeuten, daß es seine latente Position verläßt und sich als Krankheit manifestiert. Es gibt genügend Hinweise darauf, daß Krankheiten auf diese Weise verursacht werden. Das AIDS zugrundeliegende Virus beispielsweise infiziert menschliche Gehirnzellen, bleibt dort aber in einer Art Ruhezustand. Infiziert nun aber ein völlig anderes Virus, das Zytomegalievirus, ein solches bereits mit HIV infiziertes Gehirn, dann »weckt« es damit das HI-Virus »auf«, welches sich nunmehr rasch vermehrt. Dies ist einer der Gründe dafür, daß es mit größerer Wahrscheinlichkeit zum Ausbruch von AIDS kommt, wenn ein HIV-Träger eine zweite Infektion bekommt, die zu Komplikationen führt. Darüber hinaus ist es eines der Merkmale von AIDS, daß
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