Eros und Evolution
Weibchen erst, wenn dieses sich vor ihm niedergekauert hat. Ein paar Minuten später ist das Ganze vorbei, und das Weibchen beginnt seine lange und einsame Elternschaft. Es hat von seinem Partner nur eines empfangen – Gene –, und es sieht ganz so aus, als habe es alles versucht, um die besten zu ergattern, die zu bekommen waren.
Und hier stehen wir wieder vor dem Problem, daß die Spezies, bei der die Wahl am wenigsten Konsequenzen für das Weibchen hat, am wählerischsten ist. Denn ein einziger Hahn übernimmt unter Umständen die Hälfte aller Paarungen an einem Balzplatz; man weiß, daß der Top-Hahn dreißig oder mehr Hennen an einem Morgen begatten kann. 23 Das hat zur Folge, daß in der ersten Generation die genetische Rahmschicht von der Populationsoberfläche abgeschöpft wird, in der nächsten Generation der Rahm vom Rahm, und in der dritten der Rahm vom Rahm des Rahms etc. Wie jeder Molkereiangestellte weiß, ist dies eine Prozedur, die sich sehr bald erschöpft: Es bleibt nicht mehr genug Trennbares im Rahm, um weiterhin die dickere Schicht abzuschöpfen. Bei den Beifußhühnern ist es genauso. Wenn die nächste Generation von zehn Prozent aller Männchen abstammt, dann werden über kurz oder lang alle Weibchen und alle Männchen genetisch identisch sein, so daß es keinen Sinn mehr hat, ein Männchen dem anderen vorzuziehen, denn sie sind ohnehin alle identisch. Man bezeichnet diese Tatsache als Paradoxon der Arenabalz. Und sie bildet die Hürde, die zu nehmen jedwede moderne Theorie der sexuellen Selektion bemüht ist. Wie das anzustellen ist, soll Gegenstand der folgenden Unterkapitel sein.
Montagues und Capulets
Es wird nun Zeit, über den großen Zwiespalt zu berichten. Die Anhänger der Theorie der sexuellen Selektion teilen sich in zwei, einander feindlich gesinnte Gruppen. Es gibt keine allgemein akzeptierten Namen für die beiden Parteien. Meist werden sie als »Fisherianer« und Anhänger der »Gute-Gene«-Hypothese bezeichnet. Helena Cronin hat eine meisterhafte Geschichte der Debatte zur sexuellen Selektion verfaßt. 24 Sie bevorzugt die Bezeichnungen »Geschmack« und »Vernunft«. Manchmal werden die unterschiedlichen Richtungen auch als »sexy-son«-Theorie und »Gesunder-Nachwuchs«-Theorie bezeichnet.
Die Anwälte der Fisher-Partei (sexy son, Geschmack) stehen auf dem Standpunkt, Pfauenhennen bevorzugten prächtige Männchen deshalb, weil sie bestrebt seien, erbliche Schönheit an ihre Söhne weiterzugeben, damit diese wiederum in der Lage seien, viele Weibchen anzuziehen. Die Verfechter des anderen Lagers dagegen (gute Gene, gesunder Nachwuchs, Vernunft) gehen davon aus, Pfauenhennen zögen prächtige Männchen deshalb vor, weil die Schönheit ein Ausdruck hoher genetischer Qualität – Resistenz gegenüber Krankheiten, Stärke und Vitalität – sei, und daß es diese Qualitäten seien, die ein Weibchen an ihre Jungen weiterzugeben trachtet.
Nicht alle Biologen haben sich dem einen oder anderen Lager angeschlossen, manche sind der Ansicht, es könne einen Kompromiß geben, und andere bildeten am liebsten eine dritte Partei und riefen mit Mercutio »Zum Teufel beider Sippschaft!« Nichtsdestoweniger liegt zwischen beiden eine Kluft, die sich mit der zwischen den Montagues und den Capulets in Shakespeares Romeo und Julia durchaus vergleichen läßt.
Die Fisherianer leiten ihre Vorstellung in erster Linie von Sir Ronald Fishers großartigen Erkenntnissen hinsichtlich despotischer Modetrends ab und stimmen mit Darwin insoweit überein, als auch sie die weibliche Vorliebe für Pracht für willkürlich und nicht zweckgerichtet erachten. Ihrer Meinung nach wählen Weibchen, insbesondere auf den Balzplätzen, die Männchen entsprechend ihrer Farbenpracht, der Länge ihrer Schwanzfedern, der Virtuosität ihres Gesangs oder welcher anderen Qualität auch immer aus, weil innerhalb der Art ein willkürliches Modediktat regiert, das niemand zu brechen wagt und dem zufolge Schönheit vorzuziehen ist. Die Genqualitätsanhänger treten in die Fußstapfen von Alfred Russel Wallace (wenn ihnen das auch häufig nicht klar ist), wenn sie argumentieren, daß – so willkürlich und verrückt es auch scheinen mag, wenn ein Weibchen sich für ein Männchen deshalb entscheidet, weil dessen Schwanzfedern besonders lang sind oder sein Gesang besonders laut ertönt – der Wahnsinn doch Methode hat. Die Schwanzfedern beziehungsweise der Gesang teilen jedem Weibchen genau mit, wie gut die Gene eines
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