Eros
Medizinischen, er war der einzige, der über meine physische Verkommenheit
in vollem Ausmaß Bescheid wußte.
»Auch wenn es«, sagte er, »blöd klingen mag: Verlieben Sie sich!«
»In wen?«
»Wen haben Sie denn gern?«
»Selbst wenn ich jemanden wüßte – wie soll man sich in eine Person
verlieben, die man nur gern hat?«
»Ganz einfach: man macht sich was vor! Autosuggestion. Das hat
nichts mit Selbstbetrug zu tun, es ist eine natürliche Selbstverteidigung des
Gehirns gegen die Einsamkeit und die innere Verwahrlosung. Zu dieser
Selbstverteidigung kann man stehen, und es ist erstaunlich, was oft daraus
entsteht.«
»Für Sie, Doktor, ist alles nur Chemie, was?«
»Was sonst? Mögen Sie Sylvia?«
Ich hatte erwähnt, daß sie mal meine Sekretärin war. Nicht erwähnt
habe ich, daß sie sich dieser Aufgabe nicht gewachsen zeigte und bald um ihre
Versetzung nach München bat. Schuld trugen nicht ihre schlechten Leistungen,
die waren gar nicht so schlecht, aber sie hatte meine Verrücktheiten nicht
ertragen, meine Fixierung auf Sofie, die vielen Fotos überall, meine Sucht,
meine Kapriolen, meine Distanz ihr gegenüber – wir hatten wirklich nur dieses
eine Mal miteinander geschlafen, vor einem Dutzend Jahren. Und sie liebte mich.
»Doch. Sie ist sehr nett.«
»Na also. Mag sie Sie auch?«
»Mehr als das.«
»Gut! Vortrefflich! Wäre sie verfügbar?«
»Vermutlich.«
»Na bitte. Holen Sie sie her! Was Sie jetzt brauchen, ist Zuneigung,
echte Zuneigung. Weibliche Wärme. Was zum Greifen .« Er machte mit
den Händen eine passende Geste.
Fröhlich bestand übrigens darauf, daß wir uns siezten, das würde mir
helfen, ihn als Autorität anzusehen. Er war zu einer Art Vaterfreund für mich
geworden, und bevor ich volljährig geworden war, hatte er mich ja auch geduzt,
aber sooft ich ihm später die vertraulichere Anrede anbot, wies er sie zurück,
weil er ansonsten nicht länger mein Arzt bleiben könne.
Vielleicht war er ein Scharlatan?
»Das ist doch krank und pervers!« rief ich. »Man kann nicht einfach
einen Menschen herbestellen, damit er …«
»Alexander, belügen Sie sich nicht! Versuchen Sie nicht, ein anderer
zu sein, als Sie sind. Sie haben recht: Man kann im allgemeinen
nicht. Sie können. Sie sind krank. Und Sie haben Möglichkeiten, die andere nicht haben. Deswegen sind Sie überhaupt erst
krank geworden. Benutzen Sie Ihre Möglichkeiten, um anzukämpfen gegen Ihre
Möglichkeiten. Erst dann wird der Kampf im Gleichgewicht sein.« Er senkte
seine Lautstärke ein wenig. »Sie müssen deswegen Sylvia nicht belügen, müssen
ihr keinen Schmonzes erzählen oder ihr die große Liebe vormachen. Sie wird
bestimmt auch mit viel weniger zufrieden sein. Jetzt, wo diese Sache mit Sofie
vorbei ist, wird sie gerne zu Ihnen zurückkehren.«
»Das klingt ja alles so, als hätten Sie Sylvia schon ausgehorcht?«
»Vorgefühlt. Nur ein wenig vorgefühlt.« Er lächelte und kratzte an
seinem grauen Bart.
Ich muß etwas Wichtiges erwähnen, auch wenn es momentan
womöglich fern vom Thema scheint. Aber es gehört genau hierher, wenngleich
sicher kein Regisseur von Rang es je dorthin befohlen hätte. Mein damaliger
Chauffeur, ein junger Bursche – nein, das ist nun en detail wirklich nicht
wichtig. Ich kürze das lieber ab. Also – kurzum: Irgendwann in jener Zeit wurde
in England die erste Langspielplatte der Beatles veröffentlicht.
Um ehrlich zu sein: Ich hatte mich nie sehr für Musik begeistert.
Sie werden mich dafür verachten, dennoch möchte ich meine Unbildung
eingestehen.
Aber diese Musik, die Musik der Beatles, hatte eine enorme
Heilwirkung auf meine Seele. Mit ihr erst – vielleicht, auf politischer Ebene,
noch mit dem Attentat auf Kennedy – begannen für mich die sechziger Jahre
endgültig eine eigene Ära zu sein. Und das mit Sylvia lief, in groben Zügen,
tatsächlich so, wie es Dr. Fröhlich mir vorgeschlagen und vorausgesagt hatte.
Sie bekam einen Vertrag als persönliche Assistentin –
Jesus, das klingt jetzt alles so bizarr, aber ich schwöre, ich hatte diese Frau
wirklich lieb und redete mir ein, nein, ich war mir sogar sicher, daß unser
Arrangement das Beste war, was sie sich erhoffen konnte vom Leben. Da grinsen
Sie jetzt!
Aber der Sommer 63 wurde wirklich gemütlich, wir ließen es ganz
ruhig angehen, gaben uns nur sehr scheue Küsse, tranken Wein – Dr. Fröhlich
hatte mir verordnet, guten Rotwein zu trinken. Auf Dauer würde ein Mensch wie
ich ohne irgendeine Sucht
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