Eros
täglich quasi umsonst bekam? Aus allem, was mir
Lukian über Henry erzählte, entstand Angst. Angst und Sorge um meine Geliebte, die diesem Subjekt offensichtlich hörig war.
Deutsche Oper
»Der Schah kommt nach Berlin.« Henry hat es aus der
Zeitung und teilt es Sofie während des Frühstücks mit. Die begreift nicht
gleich, weshalb das wichtig sein soll und für wen.
»Ja und?«
»Da wird was los sein.«
Sofie begreift immer noch nicht, was da los sein soll.
Lukian war am Telefon. »Der Schah kommt nach Berlin. Wir
haben eine Einladung in die Oper.«
»Schön. Wir nehmen an.« Jeder Anlaß wäre mir recht gewesen. Ich
mußte raus aus meinem Stillstand, ins Leben hinaus.
»Wir nehmen an?«
»Ich habs satt, hier rumzusitzen.«
31. Mai 1967. Mehringdamm. Es klingelt. Henry öffnet, zum
letzten Mal sorglos, die Tür. Polizisten stürmen die Wohnung, führen ihn und
Sofie in Handschellen ab. Ohne Erklärungen abzugeben.
Lukian erwartete Sylvia und mich am Flughafen. Wir hatten
gegen elf Uhr von der Verhaftung erfahren und kamen gegen vier Uhr nachmittags
in Berlin-Tegel an, zwei Tage früher als geplant. Sylvia war sofort bereit
gewesen, mich zu begleiten.
»Geht es ihr gut?«
»Es geht.« Lukian beruhigte mich nicht wirklich. »Ihre Schwester
kümmert sich um sie.«
»Das ist mir nicht genug«, sagte ich, aber es genügte für den Moment
dann doch. Birgit holte Sofie aus der Haft. Sie muß sich wirklich Mühe gegeben
haben, hatte Akteneinsicht erwirkt, mit der Staatsanwältin geredet, auf den
Tisch gehauen und Eindruck geschunden.
Ein Strafvollzugsbeamter winkt Sofie aus der Zelle. »Du
kommst frei. Pack deine Sachen!« Sofie ist empört, daß sie von diesem Menschen
geduzt wird, schweigt jedoch und folgt, es gibt keine zu packenden Sachen, dem
Beamten hinaus auf den Flur, voller Zorn über den Polizeistaat, dessen Opfer
sie geworden ist. Birgit erwartet sie am Ausgang, umarmt sie, fährt mit ihr in
die Kanzlei und erwartet während der gesamten Fahrt ein Wort des Dankes. Stattdessen:
»Was ist mit Henry?«
»Sitzt.«
»Warum hast du mich rausbekommen und Henry nicht?«
»Er ist vorbestraft.«
»Das wußte ich nicht.«
»Autodiebstahl. Körperverletzung. Vandalismus. Stehst du auf sowas?«
»Was soll das denn jetzt?« Die beiden schweigen. Birgit hat sich
vorgenommen, im Auto niemals zu streiten. Daraus kann leicht ein Unfall
resultieren.
In der Kanzlei angekommen, der Sofie seit vier Wochen unentschuldigt
ferngeblieben ist, trinken die beiden Kaffee. Während jener vier Wochen sind
die Räume grundlegend renoviert worden, Sofie erkennt ihren ehemaligen
Arbeitsplatz kaum wieder. So schnieke ist das alles. Birgit muß ohne Ende Kohle
machen. Die Kriegsgewinnlerin.
»Also, hör zu. Die Berliner Polizei hat wegen dieses Perserpaschas
alle als gewalttätig in Erscheinung getretenen Demonstranten im Visier. Ich hab
mit der Staatsanwältin gesprochen und sie davon überzeugen können, daß du ein
harmloser Fall bist. Beziehungsweise hat sie eingesehen, daß man dir nicht
nachweisen kann, irgendeinen Schaden verursacht zu haben. Die Sache ist erstmal
wegen Geringfügigkeit vom Tisch. Aber bitte: Laß dich nicht wieder mit nem
Stein in der Hand fotografieren! Das ist dumm. Niveaulos. Gegen deinen Freund
läuft ein Verfahren wegen Zechprellerei und Diebstahls. Die werden ihn ein paar
Tage einknasten, dann auf freien Fuß setzen. Er wird es überleben.«
»Okay, war’s das?« Sofie ist aufgebracht wegen des überlegenen,
herablassenden Tonfalls, den Birgit mit voller Absicht gewählt hat.
»Nichts zu danken. Wenn du hier wieder arbeiten willst, kannst du
nächste Woche anfangen.«
Sofie verweigert eine Antwort, was ihr Stunden später ein wenig leid
tut, nur augenblicklich eben so rein gar nicht. Wortlos verläßt sie die
Kanzlei, bekommt auf der Straße einen Heulkrampf.
Hauptsache, Sofie war wieder frei. Und Henry saß ein. Im
Grunde genoß ich die Situation. Henry wurde in der U-Haft zusammengeschlagen,
von Mithäftlingen aus dem proletarischen Milieu, die seine Haarpracht nicht
leiden konnten. Ich schwöre, daß ich damit nichts zu tun gehabt habe. Wozu ihn
verprügeln, wenn ich ihn genauso gut hätte töten lassen können? Sie müssen sich
vergegenwärtigen: Ich hatte Sofie seit gut anderthalb Jahrzehnten nicht
gesehen, außer auf Fotos. Und wollte sie endlich, Auge in Auge wiedersehen. Daß
sie gegen den Schahbesuch demonstrieren, auf die Straße gehen würde, war klar.
In meiner Hotelsuite
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