Eros
sangen, was uns einfiel, und
Sofies We shall
overcome ging in Martins We’ll meet again some sunny day über, und ich summte It’s been a hard days night, aber im Tempo eines
langsamen Blues, das bekam den Hauch von etwas Drollig-Mystischem. Eine
sonderbare Tristesse, zum Wohlfühlen intensiv.
Kurz vor zehn stand ich ohne Abschiedsgruß auf, klopfte Martin auf
die Schulter, klopfte Sofie auf die Schulter, lief die Treppe hinunter, an
hektisch umherhetzenden Menschen vorbei auf die Straße, rannte in Richtung
Kudamm, etliche Umwege waren nötig, vielerorts wurde noch gejagt und geprügelt.
Ein Notarztwagen heulte um die Ecke. Später erfuhr ich: Der Leichnam des vom
Polizeiobermeister Kurass erschossenen, besser gesagt, in wehrlosem Zustand
hingerichteten Studenten Benno Ohnesorg, 27, wurde abtransportiert, und wenn
die Presse auch am nächsten Tag das Geschehen infam verdrehte, wild gegen die
Studenten hetzte, die an jener verhängnisvollen Entwicklung selbst schuld
seien, so wurde die Nacht vom 2. auf den 3. Juni doch von vielen als Beginn
einer gerechten Revolution empfunden. Sylvia und Lukian warteten auf mich im
Hotel; die Oper, erzählten sie, sei recht nett gewesen, aber sie hätten Angst
um mich gehabt. Was denn da draußen vorgefallen sei? Drinnen sei nichts zu
hören gewesen, nur Musik. Wir gingen in die Grill-Bar neben dem Kempinski, um
spät noch etwas zu essen. Ich brachte keinen Bissen herunter. Gegenüber der
Grill-Bar, vom Fenster gut zu beobachten, lag die Bank für Handel und
Industrie. Zwei ältere Herren in feinen Anzügen verließen lachend das Gebäude,
betont schnell, wie in einem Streifen aus der Stummfilmzeit, und ich beschloß
mein Leben für immer zu ändern. Ein Leben, das vom Geld diktiert wird, ist
gehobene Sklaverei und nichts wert, nichts. So dachte ich in dem Moment.
Kindlich simpel. Sie müssen das nicht beschönigen. Machen wir heute früher
Schluß. Es geht mir nicht gut.
Von Brücken entließ mich in den Abend, seine Stimme klang
heiser und die Schmerzmittel gingen zu Lasten seiner Erinnerungsfähigkeit,
weswegen er vorzog, den Tag über zu leiden und sich erst abends Spritzen setzen
zu lassen. Essen mußte ich diesmal allein, sein Appetit war nie der beste
gewesen, er hatte mich bisher mehr aus Höflichkeit akkompagniert. Eine
Höflichkeit, die er sich nun bei steigendem Schmerz nicht mehr leisten wollte
und konnte.
In dieser kalten, klaren Nacht beschloß ich, mir die
Grabstätte im Park anzusehen, was meinerseits unhöflich war. Das ging mich
nichts an, es kam dem Blick in ein fremdes Schlafzimmer gleich. Auf der anderen
Seite war es mir nicht verboten worden. Und wie man sich alles zurechtrückt, so
dachte ich mir, meine Neugier könne genausogut als Anteilnahme aufgefasst
werden. Ich verließ das Haus durch den Vordereingang. Nicht weit von der
Auffahrt entfernt stand ein Wachmann und flüsterte etwas in seinen Microport,
er machte jedoch keinerlei Anstalten, mich am Spazierengehen zu hindern. Man
mußte eine zugeschneite Wiese überqueren, um zum Rand des Parks zu gelangen,
meine knirschenden Schritte schienen mir unglaublich laut. Einige in Hüfthöhe
angebrachte Lampen, in einer nicht nachvollziehbaren geometrischen Ordnung da
und dort plaziert, spendeten weißes, sehr weißes Licht. Bei den Tannen
angekommen, sah ich mich um, ob jemand mir folgte. Niemand. Der übliche leise
Baulärm war zu hören, vom Zentrum der großen Aue her. Nach den Koniferen kamen
Ringe aus diversen Laubbäumen, darunter Inseln aus Birken, alle kahl natürlich,
aber während des Sommers mußten sie die Sicht auf die Aue zumindest stark
erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. Starke Leuchten waren dort in Betrieb,
ich erkannte schemenhaft ein nach oben hin gerundetes Gebäude, es besaß die
Form eines Iglus, etwas zylindrischer, es erinnerte an einen Helm der
spanischen Armada oder den Kopf des Alien aus dem gleichnamigen Film. Davor
waren einige Arbeiter zugange, links und rechts standen Fahrzeuge im Schnee,
Lieferwagen, Traktoren, Bagger. Meine Ankunft blieb nicht unbemerkt, aber
niemand schien etwas gegen mich zu haben an diesem Ort, verschiedentlich
berührten die Arbeiter mit zwei Fingern ihre rechte Schläfe zum Gruß. Eine
Gestalt kam mir entgegen, im langen dunklen Mantel. Die Hände in den Taschen
verborgen, schälte sie sich aus dem Dunkel und kam auf mich zu.
»Können Sie nicht schlafen?« Es war Lukian. Entweder war er zufällig
vor Ort, oder er hatte von meinem Ausflug
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