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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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werfen
sich zwei Männer mittleren Alters, beides richtige Schränke von Männern, dem
Schläger entgegen, rammen ihn, er knickt um, geht zu Boden.
    Einer der beiden beugt sich über Sofie, hebt sie hoch, zerrt sie an
die Hauswand. »Komm mit. Hier wirds zu heiß!«
    Sofie kann sich gerade noch mit zwei Silben bei ihm bedanken, als
mehrere Hundertschaften der Polizei den Platz stürmen. Die beiden Schränke werden nach kurzer Gegenwehr überrollt und verhandschellt. Sofie kann dem
Zugriff entschlüpfen, rennt eine kleine Seitenstraße entlang nach Süden.
    Ich blieb am Rande des Geschehens. Nicht, weil ich
sonderlich feige war, sondern weil man nur von dort die Chance hatte, das Ganze
zu überblicken. Meine Fliege riß ich ab und zog das Hemd aus der Hose, um noch
weniger aufzufallen. Abgerissene Knöpfe kullerten auf die Straße. Meinen Mann
mit dem grünen Anti-Vietnam-Transparent fand ich, er lehnte an einer
Litfaßsäule neben dem Gehsteig und hatte böse was abbekommen. Das Transparent
war zerrissen, der Stiel geknickt. Keine fünfzig Meter von mir entfernt
verhaftete die Polizei jeden, den sie erwischen konnte. Und etliche
Demonstranten waren eingekeilt.
    »Gehts?«
    »Chef, was machn Sien hier?« Er klang leicht delirant. Seine
Oberlippe war aufgeplatzt.
    »Stützen Sie sich auf mich. Na los!« Wir humpelten ein paar
Schritte, aber der Mann war fix und fertig, er brauchte ärztliche Hilfe, seine
Beine versagten und ich ließ ihn in einem Hauseingang liegen. Sofie war mir
wichtiger. Ich konnte mir auch, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, daß die
Polizei einem bereits Verletzten noch mehr zusetzen würde. Und dann, aus den
Augwinkeln heraus, sah ich sie. Im offenen Durchgang zu einem Hinterhof saß
meine Geliebte und hämmerte mit ihren Fäusten gegen einen Briefkasten vor Wut.
Die Polizisten trieben etliche Flüchtende die kleine Seitenstraße entlang, das
Ganze ähnelte diesen Bildern aus Pamplona, wo sich Menschen, allerdings
freiwillig, von Kampfstieren durch die Gassen jagen lassen.
    Ich rannte rüber zu meiner Geliebten, rief: »Wir müssen hier weg!«
Die Gefahr, daß Sofie mich erkennen würde, nahm ich billigend in Kauf, es gab
den Bart und die Sonnenbrille, die mich tarnten, mein Gesicht hatten die Jahre
etwas aufgeschwemmt. Eine dicke Frau mit blauer Schürze und
fünfzigpfenniggroßen schwarzen Warzen neben der Nase – die Warzen können Sie
weglassen – kam aus dem Treppenaufgang, schrie uns an, was wir hier wollten,
wir Pack sollten uns fortscheren. Sirenen heulten vorbei. Wir humpelten durch
den Hinterhof in den nächsten Hinterhof, dort war vom Lärm der Straße kaum noch
etwas zu hören, fast friedlich war es da. Ein großer Kerl kam auf mich
zugerannt, es war einer von meinen Leuten, vielleicht der letzte, den es noch
nicht erwischt hatte. »Alles in Ordnung, Chef?« Ich nickte und legte den
Zeigefinger auf die Lippen, er solle schweigen, zum Glück bekam Sofie bestimmt
nicht mit, wie er mich genannt hatte, ihre Augen waren verschwollen, sie stand
wohl unter Schock. Wir betraten zu dritt das Treppenhaus am anderen Ende des
Karrées, stiegen eine alte Holztreppe hinauf in den ersten Stock und rasteten
dort, hockten an der kühlen Wand zwischen zwei Wohnungstüren, mein Gesicht
wandte ich von Sofie ab, es war gar nicht nötig, war ja fast ganz dunkel im
Flur. Wir rauchten, und ich verstellte meine Stimme, wenn ich etwas sagen
mußte. Sofie wollte wissen, wer wir seien. Der Mann, mein Mann sagte, er heiße
Martin. Kann sein, daß er so hieß. Oder auch nicht. Ich nannte mich aus einem
spontanen Einfall heraus Boris, warum? Weil der amtierende Schachweltmeister so
hieß. Draußen, in einem der Hinterhöfe, fiel ein Schuß. Sofie wollte nachsehen,
was passiert war, wir hielten sie zurück. Unten liefen etliche Menschen von
hier nach da. Mein Herz pochte so stark, daß ich jeden Augenblick fürchtete,
die Besinnung zu verlieren. Ich war meiner Geliebten nah wie zuletzt in den
Bombennächten, vor über zwei Jahrzehnten. Wir redeten wenig, die Angst vor
Entdeckung war zu groß. Was wir redeten – banales Zeug, Aufarbeitungen des eben
Erlebten, also mehr Seufzen, Keuchen und Zischen als Worte. Wir rauchten die
ganze Zeit. Ich hielt Sofies Hand für Minuten. Bitte beschreiben Sie nicht, wie
ich mich fühlte, denn ich weiß es nicht und glaube, niemand könnte beschreiben,
wie es war. Ganz leise haben wir gesungen, mehr gesummt. Das war fast komisch,
nicht, weil es so falsch geklungen hätte, aber wir

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