Eros
meinen Ring vom Finger – und schluckte beide hinunter. Die Geste
ersparte mir all jene Worte, zu denen ich keine Lust hatte, es bescherte mir
eine Nacht schlimmer Magenkrämpfe, bis ich die Ringe am Morgen loswurde – und
das war’s.
Diese an sich erträgliche Phase meines Lebens ging einfach so
vorüber, wie der Aufenthalt in einem Sommerbad. Für Sylvia wurde
selbstverständlich gesorgt, sie kehrte auch immer mal wieder aufs Schloß
zurück, so war das nicht, wir blieben Freunde, aber was das … Herzliche betrifft, mir mangelt es grade an einem besseren Wort, da war ich wieder
allein. Und der Wahnsinn kam wieder, selbstverständlich, der Wahnsinn hatte
immer tapfer däumchendrehend hinter meinem Rücken gewartet, bis er wieder an
der Reihe war. Lukian schickte ich nach Berlin. Er hatte überhaupt nichts
dagegen, wirkte sogleich hocherfreut. Ich bin mir fast sicher, daß er zuvor
schon ab und an dort gewesen war, daß er, ohne mein Wissen, ohne meine
Erlaubnis, Sofie gesehen hat. Ich wäre sogar enttäuscht, wenn dem nicht so
gewesen wäre.
1967
Birgit führt, zusammen mit zwei anderen aufstrebenden,
durchaus gewinnorientierten Anwältinnen, eine halbwegs erfolgreiche Kanzlei in
Berlin-Schöneberg, die sich auf Wirtschaftsrecht spezialisiert hat. Sofie ist
Angestellte in jener Kanzlei und trotz ihrer (allerdings nie fertiggestellten)
Doktorarbeit wenig mehr als eine überbezahlte Schreibkraft, die hin und wieder
einen Schriftsatz entwerfen darf, Post erledigt und Kaffee kocht. Sie bemüht
sich, dankbar um die 30-Stunden-Woche, dennoch bleibt die Arbeit banal und
wenig kreativ, bleibt ein Gefallen, den ihr die Stiefschwester tut, mehr nicht.
Doch die Stadt macht einiges wett, Sofie fühlt sich wohl.
Am Mehringdamm, im eher bürgerlichen Teil von Kreuzberg, bewohnt sie
eine preiswerte, sanierungsbedürftige Dreizimmer-Altbau-Wohnung mit starker
Nachbarschaftsbindung. Während des Sommers wird gerne gegrillt im Hinterhof,
während des Winters hilft man älteren Damen in oberen Stockwerken beim
Kohletragen, das ist fast selbstverständlich.
Sofie ist Mitglied des SDS geworden, des Sozialistischen Deutschen
Studentenbundes. Aus ihrer Perspektive sind die großen Parteien kaum mehr
voneinander zu unterscheiden, was folgerichtig in die Große Koalition von SPD
und CDU münden mußte. Immer öfter fällt der Slogan von der Notwendigkeit einer
außerparlamentarischen Opposition. Sofie, die inzwischen eine echte
Kurzhaarfrisur (sog. Meckischnitt ) und liebend gerne Blue Jeans trägt, kämpft
für Hochschulreformen bzw. gegen verkrustete Gesellschaftsstrukturen. Eine aus
dem Vietnamkrieg erwachsene Protestwelle der Jugend schwappt aus den USA nach
Europa über. Viele vereinzelte und unter sich zerstrittene Gruppen werden
mitgeschwemmt von der Wucht der Zeit, zusammengeworfen zu einer großen
Bewegung, bevor sie nach wenigen Jahren wieder in kleinste Sektiererzirkel zerfallen.
In Berlin wird die Kampagne Enteignet Springer vorbereitet und taktisch diskutiert.
Die Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Hochschulbundes fordert im
Hinblick auf die Machtstellung des Springer-Verlags ein Gesetz gegen die
Konzentration im Pressewesen. Dem SDS ist der Sozialistische Hochschulbund zu
weich, immer öfter kommt es zu Demonstrationen, auch gewalttätigen, gegen das
Springerhaus in der Kochstraße. Birgit findet sich mit fünfunddreißig Jahren zu
alt, um leiblich an solchen Demos teilzunehmen. Die ein Jahr ältere Sofie ist
mit Leib und Seele dabei. Innerhalb weniger Monate ändert sich Haltung, Musik
und auch Mode der Jugend so tiefgreifend wie selten zuvor in der Geschichte der
Menschheit. Es ist eine aufregende Zeit der propagierten und herbeigesehnten
Umstürze. Sofie, mitten darin, gleichsam im Kern des Geschehens, findet ihr
Leben plötzlich sinnvoll und wichtig, fühlt sich angekommen auf einem Weg mit
absehbarem Ziel. Ehrenamtlich, wie viele andere Jungakademiker, hält sie abends
politischen Unterricht ab, für jeden, der davon profitieren will, mit
Diskussionsrunden, die euphorisieren und immer öfter in Feste der Freiheit, der
Lautstärke und der hedonistischen Liebe münden. Was für ein piefiger Pipifax
war dagegen der Politzirkel in Wuppertal gewesen. Hier blüht die Metropole,
pocht das Leben, hier wohnen die Farben, die Schubkraft und der Taumel.
Meistens zumindest.
Im Moment, Ende Februar, hält die Kälte die Stadt im Arm. Der Sommer
wird sehr groß werden, aber das ist noch niemandem bekannt. Unter Sofies
Weitere Kostenlose Bücher