Eros
im Bristol-Kempinski empfing ich einen jener Leute, die
während der Demo auf Sofie achtgeben sollten. Einen von insgesamt sieben
durchtrainierten, ausgebildeten Männern. Einige wußten gar nicht, für wen sie
arbeiteten.
»Wirst du sie mir zeigen können?« Es ging darum, Sofie aus der
Ferne, durch mein Opernglas hindurch zu sehen, mehr nicht.
»Kein Problem, Chef, ich habn Transparent in grüner Farbe. Ich stell
mich neben sie hin.«
»Gut.«
Schütteln Sie nicht den Kopf! Es war ein an sich unschuldiges
Abenteuer.
Womit wir natürlich nicht gerechnet hatten, waren die
Ausschreitungen der über hundert persischen Geheimdienstagenten. Bereits am
Mittag des 2. Juni begannen sie, auf die Demonstranten vor dem Schöneberger
Rathaus einzuprügeln, man muß sich das vorstellen, die Berliner Polizei
unternahm nichts, rein gar nichts gegen jene übergeschnappten Zivilschergen des
Staatsgasts, diese Typen schlugen mit Knüppeln und Latten auf eine
Menschenmenge ein, die bis dahin nur verbal und gewaltlos protestiert hatte.
Unglaublich. Später half die Polizei diesen Jubelpersern sogar. Beschämend.
Gegen Abend eskalierte die Lage. Wissen Sie, zu meiner Schande muß ich
gestehen, daß die Beschäftigung mit Politik mir nie viel gegeben hat. Schah
Reza Pachlewi sollte ein Mörder sein, ein Folterer, aber die Regenbogenpresse
schrieb über ihn und die reizende Farah Diba wie über ein Königspaar aus dem
Märchen. Weite Teile der Bevölkerung empfanden die krakeelenden Studenten als
Spielverderber, die Presse schrieb dem Volk nach dem Munde, hetzte fast
ausnahmslos gegen alles Systemkritische, sprach von Banden schlecht erzogener
Wilder. Ich besaß dazu keine klare Position, war, politisch gesehen, ein Hinterwäldler.
Dem Sozialismus stand ich als Unternehmer von Natur aus sehr mißtrauisch
entgegen, woran sich auch später nichts geändert hat. Aber an diesem Tag – der
Reihe nach:
Vor dem Portikus der Deutschen Oper traf die feine Gesellschaft
Berlins ein, um Mozarts Zauberflöte zu genießen, der Schah wurde vorgefahren.
Es gab ein wütendes Brüll- und Pfeifkonzert. Einige Menschen trugen Papiertüten
über dem Kopf mit aufgemalten Gesichtszügen des Schahs. Der Mörderfürst, der
Tyrann, sollte, naja, in sein eigenes Gesicht sehen. Praktische Nebenwirkung
war die Vermummung der Demonstranten. Einige Farbbeutel wurden geworfen,
vereinzelt auch schon Steine. Und ich, mit meinem Opernglas, suchte in der
Menge nach Sofie. Oder nach einem Mann mit grünem Transparent. Hören Sie doch
auf zu lachen!
So groß hatte ich mir die Menschenmenge nicht vorgestellt.
Vereinzelt flogen jetzt Eier und Rauchkerzen, nichts Schlimmes, der Platz vor
der Oper war weiträumig abgesperrt durch einen Kordon von Polizei und
persischem Geheimdienst. Ich suchte verzweifelt nach dem grünen Transparent.
Direkt neben mir stand Bürgermeister Albertz, er sagte zu Polizeipräsident
Duensing: »Wenn ich hier rauskomm, ist alles sauber, klar?« Duensing bellte:
»Jawoll, Herr Bürgermeister!«, und befahl irgendeinem seiner Untergebenen:
»Knüppel frei, räumen!«
Sylvia zupfte mich am Arm. »Was ist denn? Gehn wir rein oder nicht?«
»Geht ihr schon mal vor.« Ich gab Lukian zwei der drei
Einladungskarten. Verstehen Sie, ich wußte nicht, was da vor sich ging, ich
beobachtete durch mein Opernglas, wie irgendwelche östlich anmutende Typen, mit
Stahlruten bewaffnet, auf die Menge einprügelten. Meine Angst um Sofie ließ
mich leichten Herzens auf die Zauberflöte verzichten. Ich rannte die Straße auf
der Seite der Oper Richtung Ernst-Reuter-Platz hinunter, bis man am Kordon
vorbei war und die Seite wechseln konnte. Ohne auch nur einen Leibwächter stand
ich am Rand von Chaos und Panik, in Festtagsgarderobe, zog mir den Frack aus,
damit ich nicht allzusehr auffiel.
Sofie ist geschockt von der ungehemmten Gewalt, die über
die Demonstranten hereinbricht. Ein Mann mit wutverzerrtem Gesicht schlägt mit
einem Stahlrohr um sich, Blut fließt, Leute gehen schreiend zu Boden. Sofie
beugt sich über einen verletzten Studenten, drückt ihm ihr Taschentuch auf die
Nase, aus der Blut schießt, der Schläger tänzelt derweil, wie ein Derwisch in
Trance, teilt Hiebe aus nach rechts, nach links, plötzlich ist da keine
schützende Menschenmenge mehr, nur Sofie und der benommene Student hocken noch
auf dem Pflaster – und der Schläger tänzelt nicht länger, er rennt auf die
beiden zu. Das ist das Ende, denkt Sofie, aber aus ihrem Rückraum heraus
Weitere Kostenlose Bücher