Eros
gehört und eine Abkürzung benutzt.
»Ich könnte schlafen.« Es gab keinen Grund zu lügen. »Ich war
einfach nur neugierig.«
»Wie schön. Alexander wird das zu würdigen wissen. Aber Sie kommen
zu früh.«
»Darf ich nicht gucken?«
»Doch.« Lukian hakte mich unter, eine von seiner Seite überraschend
vertrauliche Geste, die deshalb leicht gewalttätig wirkte. »Nur nicht jetzt. Es
ist noch nicht fertig. Wir bitten Sie sehr darum, noch ein wenig Geduld zu
haben. Bitte, niemand wird je soviel von alledem erfahren wie Sie, Alexander
hat Sie ausgesucht, zeigt Vertrauen in Ihre Fähigkeiten, lassen Sie den Dingen
ihre Zeit.«
Er bat mich, zum Haus zurückzukehren. Soweit sich das bei den
Lichtverhältnissen sagen ließ, schien das Iglu, das Mausoleum, der spanische
Helm – aus schwarzem Porphyr gebaut.
Ich fragte Lukian, ob er mir nicht etwas mehr über Berlin 1967
erzählen wolle, der Chef habe seine, Lukians Rolle nur knapp angedeutet, als
irgendwie bereits in der Stadt vorhanden. Mir fiel auf – zum ersten Mal bezeichnete
ich von Brücken als den Chef, es war mir prompt unangenehm.
Lukian schwieg, während er mich sanft zum Haus zurückdrängte, er
schwieg sehr lange, dann meinte er, auch mir würde es nicht gelingen, das Leben
in seiner gesamten Komplexität abzubilden, keinem könne das je gelingen, das
mache aber nichts, mein Auftraggeber sei Alexander von Brücken, nicht das
Leben, ich müsse einfach nur versuchen, das mir Geschilderte in Worte zu
fassen, das sei keine leichte Aufgabe. Darüberhinaus blieben immer Spekulationen,
keine Geschichte habe je ein Ende, in ihren Fraktalen könne man endlos
weitererzählen, vom Hundertsten ins Tausendste kommen.
»Verzeihung, aber das klingt unbefriedigend.«
»Unbefriedigend?« Lukian wiederholte das Wort mit leisem Abscheu.
»Nicht sehr kooperativ.«
»Was Alexander Ihnen preisgibt, ist das Hundertste, und ob ich darin
irgendwo ein verschüttgegangenes Tausendstes wäre, muß Ihnen einerlei sein.« Er
milderte seinen strengen Tonfall etwas, drehte sich, beide Hände in den
Manteltaschen, einmal im Kreis. Für alles sei nur einmal Platz. In ebenjenem Moment, da
dieses Alles geschähe. Jeder Moment sei unwiederholbar, und selbst von der fähigsten Kunst
immer nur in Fragmenten nachzustellen. Überdies habe das Leben es nun mal an
sich, meist unbefriedigend zu sein. Abgesehen von Momenten.
Ich wurde aus seinen Worten nicht schlau. Einerseits klang es, als
wolle er nur noch etwas mehr gebeten werden, andererseits hörte es sich nach
fatalistischer Bescheidenheit an, die sich mit der Vergänglichkeit längst
abgefunden hatte und nichts ohne Not aufwühlen wollte. Aber warum redete er
dann überhaupt mit mir? Er begleitete mich bis an die Tür meines Zimmers,
wachte darüber, daß ich sie von innen schloß. Gegängelt kam ich mir vor,
zurechtgewiesen, dennoch überwog das Gefühl, Lukian stünde meiner Arbeit nicht
mehr ganz gleichgültig oder strikt ablehnend gegenüber, habe mich gewissermaßen
als letzten Mosaikstein der Geschichte akzeptiert.
Vierter Tag
Im Unendlichen. Die Parallelen nähern sich
Ich hielt es in jener Nacht, nach einer Viertelflasche
Whiskey und einem heißen Bad, nicht aus in meinem Hotel. Mußte wissen, ob es
Sofie nach Hause geschafft hatte, meine Leute vor Ort waren ja fast alle aus
dem Verkehr gezogen, Ersatzkräfte erst auf dem Weg, es gab zu jener Zeit kaum
mobile Kommunikation, nur klobige, auffällige Sprechfunkgeräte, außerdem war
ich sicher, daß Sofie mich nicht erkannt hatte, auch nicht erkennen würde,
also, was sprach dagegen, zu ihr zu gehen? Ich wollte ihr nichts Böses, wollte
mich nicht in ihr Leben drängen, nur hier und da ein wenig helfen, sie
schützen, umsorgen. Das ist doch nicht verwerflich? Nicht? Sie schweigen? Sie
geben mir keine Antwort? Gibt es eine Ethik der Liebe? Es gibt vielleicht unter
Tierfilmern ungeschriebene Gesetze, sich nicht in die Ereignisse der Natur
einzumischen und Partei zu nehmen, und in der Physik weiß man, daß die
Beobachtung eines Versuches diesen immer auch beeinflußt –
»Gilt das nicht nur für die Quantenphysik?«
»Mag sein, egal. Es ist keinesfalls so, daß es hier darum geht, mich
freizusprechen, nur weil in der Liebe laut diesem dummen Sprichwort alles
erlaubt ist. Und daß der Weg in die Hölle gepflastert ist von guten Absichten,
diese Pseudoweisheit hab ich auch schon gehört. Was ich von Ihnen wissen will: War
es verwerflich, was ich getan habe?«
Was wollte
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