Eros
nicht nützlich. In Ausübung ihrer
Berufung gestorben, wird man sagen. Eine tragische Existenz, mit großen,
dunklen Augen. Sie geht zur Tankstelle, kauft Alkohol. Genug, um sich damit zu
vergiften. Aber sie will nicht betrunken sterben. Nicht sturzbetrunken.
Gegen Mitternacht, nach einer Flasche Wein, zieht sie vom Paket die
erste Schicht Packpapier ab. Um den Inhalt, einen Pappkarton, sind feine Drähte
geschlungen. Die anzusehen, wie Linien des Lebens, wie Gleise ins Nichts,
vielleicht muß es sein, vielleicht ist es gut so, Teil einer höheren Ordnung.
Vielleicht paßt es zu so einem Leben, besoffen zu sterben. Als Protest. Außer
sich zu sein, wenn man außer sich gerät. In diesem Moment kommt ihr eine Idee
nicht völlig absurd vor. Alexander. Der ihr heraushelfen könnte aus dieser
Existenz in eine bessere. Was wäre das? Nein, das geht einfach nicht, es würde
ihr Dasein zur Farce erklären. Die meisten Menschen sterben banal, ohne
Schierlingsbecher vor sich, sie verlieren all jenes, von dem sie nicht lassen
wollen, krepieren irgendwie, irgendwann. Dagegen ist das hier wenigstens ein Flash .
Gegen drei Uhr morgens greift Sofie zu einem Küchenmesser,
durchtrennt die Drähte. Nichts passiert. Das Paket ist jetzt nur noch durch
einen breiten Streifen Klebeband verschlossen.
Eine halbe Minute später läutet das Telefon.
»Ja?«
»Hast du das Paket geöffnet?«
»Ja.«
»Und? Was meinst du dazu?«
»Ich weiß nicht so recht.«
Am anderen Ende der Leitung herrscht Stille. Minutenlang.
»Jacob? Bist du noch dran?«
»Gleich wird es bei dir klingeln. Zweimal kurz, einmal lang. Mach
auf.«
Sofie greift nach ihrem Mantel. Will hinaus, starrt das
Paket an, weiß nicht, was und wohin sie will.
Es klingelt. Zweimal kurz, einmal lang. Sie zögert. Steht in
völliger Starre gegen den Kühlschrank gelehnt. Hört das Geräusch eines sich im
Schloß drehenden Schlüssels. Die Tür zur Wohnung wird geöffnet, ganz langsam,
Sofie kann den Schatten der sich bewegenden Tür an der Wand entlangkriechen
sehen. Sie schaltet das Licht aus.
Eine ihr unbekannte Männerstimme ruft: »Sofie?«
Sie hat sich in der Küche versteckt, hockt unter der Spüle, hat den
Mantel über sich geworfen.
Der Mann durchquert mit leisen Schritten die Wohnung, findet den
Lichtschalter, betritt die Küche.
»Sofie?«
»Bleiben Sie, wo Sie sind! Wer immer Sie sind!«
»Ich soll mich um dich kümmern.«
»Ich kenne Sie nicht.«
»Wovor hast du Angst?«
Er kommt näher. Sie bereut zum ersten Mal, keine Waffe zu tragen.
Sie hält ein Buttermesser in der Hand, aber eine Waffe kann man das nicht
nennen. Der Mann ist mittleren Alters, knochiges Gesicht, graumelierte
Schläfen, leicht fettleibig, was durch einen weiten schwarzen Trenchcoat
kaschiert wird.
»Hör zu. Wir haben über dich beraten. Lange. Hin und her ging das,
hin und her. Wie viele Gedanken man sich um dich gemacht hat … Man hat dich
gern. Nur – du hast keinen Wert mehr für die Bewegung. Du weißt es selber.«
»Wo soll ich denn hin?«
»Wir haben entschieden, daß dein Gesicht auf den Fahndungsplakaten
das Effektivste ist, was du uns bieten kannst. Also soll es dort bleiben.
Solange wie möglich. Möglichst unverändert. Du kannst ein neues Leben beginnen.
Du hast viel Glück gehabt. An deiner Stelle würde ich lächeln. Ehrlich.« Der
blasse Mann lächelt, als müsse er ihr zeigen, wie das geht. Er hat große, fleischige
Hände mit vielen Härchen auf den Fingern.
»Neues Leben? Ich kenn Sie nicht!«
»Neuer Name, neuer Beruf, alles neu. Das willst du doch? Das ist
dein Traum.«
Der Mann trägt unter dem Mantel einen einfachen grauen Anzug und
zeigt ihr seine großen leeren Hände. »Komm mit, alles wird gut.«
Sofie, betrunken, legt das Buttermesser beiseite. Kauert sich
zusammen. Der Mann reicht ihr die Hand.
»Was ist in dem Paket?« Sie schreit kurz auf, als er sie an der
Schulter berührt.
»Hättest du es geöffnet, wüßtest dus. Gib mir deine Hand!«
Sie weigert sich, will es wissen, greift nicht nach der Hand, reißt
stattdessen das Paket an sich. Fummelt am Klebeband herum, bohrt mit ihren
Fingernägeln hinein, vielleicht ist sie ja doch bewaffnet – und weiß
es nur nicht. Eine gigantische Explosion. Am Ende des Lebens. Warum denn nicht?
Pfeif drauf.
Der Mann seufzt laut. »Mensch, nimm dich doch nicht so wichtig!«
Sofie zerfetzt die Verpackung, reißt den Deckel fort. Eine
zusammengepreßte Sprungfeder schafft sich Raum. Ein Springteufel
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