Eros
schießt
heraus, ein stumm lachender, schwarzroter Springteufel mit krummer Nase.
»Zufrieden?« fragt der Mann, herablassend und nachsichtig, bevor er
die halb ohnmächtige Sofie endlich an der Hand nimmt, nach der längsten Nacht
ihres Lebens.
»Hättest du uns vertraut, wärste jetzt noch dabei. Wir aber sorgen
dennoch für dich. So sind wir nämlich.«
Erstens bis drittens. Das große Spiel
»Ich kann nicht glauben, daß Sie das alles einfach so
geschehen ließen.«
»Ah! Nun mal halblang! Sehen Sie! Ihre Haltung hat sich verändert.
Jetzt unterschätzen Sie meine Macht nicht mehr, jetzt überschätzen Sie sie.
Erstens: Ich wußte nicht, wo Sofie war, was sie tat, ob sie in Gefahr schwebte
oder nicht, und wenn, in welcher. Zweitens: Ich wäre vielleicht fähig gewesen,
ihr zu helfen, aber zu einem hohen Preis, nämlich dem, erneut von oben in ihr
Leben einzugreifen, und womöglich etwas noch schlimmer zu machen, als es schon
war. Drittens: Selbstverständlich – wie können Sie etwas anderes annehmen? –
versuchte ich, ihr zu helfen. Ständig. Auf hoher Ebene allerdings. So hatte ich
mit dem BKA inzwischen eine Art Burgfrieden geschlossen, natürlich meine ich
nicht mit dem BKA, sondern mit einigen hohen Tieren darin, aber das reichte aus – und wenn man Sofie geschnappt hätte, lebend, hätte es die Möglichkeit
falscher Gutachten und einer milden Strafe gegeben, mit anschließender
Sicherheitsverwahrung in der Psychiatrie – für diesen Fall hatte ich bereits
eine Spezialklinik errichten lassen, mit Ärzten, die auf meiner Gehaltsliste
standen, ja, jetzt zuckt wieder das Äffchen Zweifel in Ihrem Gesicht, und hüpft
darin hin und her, es ist wahr – können Sie sich vorstellen, was mich das alles
gekostet hat? Aber das war nicht der Rede wert, es ließ sich unter philantropische
Spenden abbuchen, ohne Verdacht zu erregen. Die
Von-Brücken-Klinik erwies sich sogar als rentabel, wurde Teil meines
Wohlfahrtsprogramms, es ist ja nicht ungewöhnlich, daß Magnaten ihren Namen für
Krankenhäuser hergeben. Das war mein Plan – wir hätten Sofie eingewiesen, und
sie hätte ein – unter diesen Umständen – relativ bequemes Leben gehabt. Ein
sehr aufwendiger, exzentrischer Plan, aber gut. Leider kam etwas
Unvorhergesehenes dazwischen. Sofie bekam Exil im anderen Deutschland. Es
dauerte Jahre, bis ich davon läuten hörte, zuvor hatte ich sie im Nahen Osten
suchen lassen, das hört sich jetzt im Kontext komisch an, ich hätte sie lieber
im nächsten
Osten suchen lassen sollen. Aber ich war damals noch naiv genug,
nur vom Wahrscheinlichen auszugehen. Ich hatte sogar ihren Tod einberechnet und
wollte, wenn es denn so war, den Leichnam finden und überführen, um ihm hier im
Eulennest ein Denkmal zu setzen. Um wenigstens in der Trauer bei ihr sein zu
können. Und dann! Was für ein schöner, ergreifender Tag, als mir zu Ohren kam,
sie sei wahrscheinlich noch am Leben und werde von der Staatssicherheit
protegiert.
Ich fühlte mich alt, viel zu früh. Wenn ich Ihnen einen Rat geben
darf: Mit siebzig ist man alt, mit fünfzig noch lange nicht. Viele vergeuden
die besten Jahre, nur weil ihnen scheint, als könnten dumme junge Mädchen mit
ihnen nicht mehr warm werden. Pfeif auf die jungen dummen Mädchen! Sofie lebte.
Vielleicht. Selbstverständlich tat ich alles, was mir in meiner Position
erlaubt war. Nur mußte das alles unglaublich sorgfältig eingeleitet werden, das
war kein kindliches Spiel mehr, es war das ganz große Spiel geworden. Bevor Sie
mich danach fragen – ja, ich genoß es, irgendwie – es gab meinem Leben einen
Inhalt. Nur – stellen Sie sich vor, wie mühsam das war, wieviel Klein- und
Feinarbeit nötig wurde; Monate und Jahre vergingen, bis eine neue schmale
Information heraussprang. Welch ein Politikum, vielleicht das bestgehütete
Staatsgeheimnis der DDR! Stellen Sie sich vor, wenn das herausgekommen wäre! Es
betraf ja nicht nur Sofie, bald wurden viel härtere Kaliber mit neuen
Identitäten versorgt, die meistgesuchten Terroristen der RAF! Jede meiner
Bewegungen drohte, an einem Dominostein hängenzubleiben, mit fatalen Folgen.
Ich begab mich persönlich in Gefahr, die Stasi hätte sicher kaum Rücksicht auf
mich genommen, und nur, weil ich soviel Geld besaß, waren überhaupt vorsichtige
Kontakte möglich. Das war das Gute an der Deutschen Demokratischen Republik –
sie brauchte immer Geld. Ich besorgte ihr Geld, investierte in völlig unsinnige
Projekte, ging an die Grenze des
Weitere Kostenlose Bücher