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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Erlaubten, sorgte für etlichen Unmut im
Vorstand. Sie müssen begreifen, daß ein Firmenkonsortium dieser Größe nie einem
Menschen allein gehört, selbst wenn das auf dem Papier der Fall sein mag.
Lukian hat während dieser Zeit Großes geleistet, er ließ ein Netz aus
Mittelsmännern entstehen, die Mittelsmänner besaßen, die Mittelsmänner besaßen.
Nur war immer unklar, welcher Mittelsmann ernstgenommen und gefüttert werden
mußte, welcher nicht. Die DDR war ein paranoider Staat, mit einer hohen
Fluktuation an Würdenträgern.
    Es dauerte fast acht Jahre, bis das Netz soweit geknüpft war, daß
ich es erstmals selbst betreten konnte. Und selbst zu diesem Zeitpunkt blieb
Sofies neue Identität nicht viel mehr als eine Vermutung, ein Gerücht. Später
ließ sich aus den Stasi-Akten vieles einigermaßen rekonstruieren,
nachempfinden. Es muß für Sofie ein Fegefeuer gewesen sein. Sie, die die Welt
hatte verändern wollen, steckte nun fest in einer banalen, nutzlosen Existenz,
inmitten der ummauerten Ruine ihrer einstigen sozialistischen Utopie. Aber das
wußte ich nicht. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich sogar mit der
Möglichkeit rechnete, sie könne dort drüben ein kleines Glück gefunden haben.
Vielleicht wäre ich ansonsten wagemutiger vorgegangen, hätte bei dieser oder
jener Gelegenheit alles auf eine Karte gesetzt. Wieviele Vorwürfe ich mir
gemacht habe! Aber kann man es jemandem ankreiden, wenn er sich in der
Dunkelheit vortastet und duckt und flüstert, statt zu rennen und zu brüllen und
wild um sich zu schlagen?«
    Von Brücken stöhnte auf, ich dachte erst an eine
übertriebene Einlage zur Verdeutlichung ehemaliger Seelenqualen, dann begriff
ich, daß das Stöhnen ganz profaner Qual entsprang. Er betätigte die versteckte
Klingel an seinem Schreibtisch, und keine zwanzig Sekunden danach sah ich zum
ersten Mal den Arzt, der ihn betreute, ein Glatzkopf in mittleren Jahren, mit
schiffsbughaftem Kinn und zarten, schmalgliedrigen Händen. Er nahm keine Notiz
von mir und knöpfte Alexander den Hemdsärmel auf.
    Der Schloßherr, den seine Untergebenen einmal respektvoll den Imperator genannt hatten, nun nichts als ein alter Mann, ein Patient, vor Schmerzen
gekrümmt, flüsterte mir zu, daß ich den Tag zum Aktenstudium nutzen solle, er
müsse sich entschuldigen. Winkte mich mit flatternden Gesten hinaus. Sich so
vor mir zu zeigen, schien ihm äußerst unangenehm. Wiewohl sein Leiden mich für
ihn einnahm, was ihm sicher bewußt sein mußte, legte er mehr Wert darauf, es
vor mir zu verbergen, ich glaube, nicht aus Eitelkeit, sondern aus tief
empfundener Gastgeberpflicht.
    Heftige Lust
    Draußen ergab sich so für mich erstmals die Gelegenheit,
den Park bei Tageslicht zu erkunden. Es war ein windiger, klarer Tag mit
relativ milder Temperatur leicht über null Grad Celsius. Im ganzen Park war
kein Mensch zu sehen. Die Arbeiten am Grabmal schienen abgeschlossen, schwarz
schimmernd lag es inmitten der großen Aue, umstanden von riesigen Hexenringen
aus Eichen und Pappeln und Birken. In vier Himmelsrichtungen strahlten Pfade
aus weißen Marmorplatten vom Grabmal ab, bis sie an den ersten Ring der Bäume
stießen und abrupt endeten. Unter Schnee verborgen waren sie mir nie
aufgefallen, nun hatte es getaut und die Pfade bildeten einen starken Kontrast
zum Schwarz des Grabmals. Eine rundum grüne, kurzgeschnittene Wiese hätte mir
besser gefallen, aber man mußte wohl damit rechnen, daß die Wiese gelegentlich
unter Wasser stand und sich in Morast verwandelte. Wie weit Alexanders
Krankheit fortgeschritten war, wußte ich nicht und hatte nie danach zu fragen
gewagt. An diesem Tag zog ich erstmals die Möglichkeit in Betracht, er könne
die Geschichte nicht mehr beenden, eine fürchterliche Aussicht. Was würde ich
dann tun?
    Abends überkam mich eine heftige Lust auf weibliche
Gesellschaft, ich konnte mich auf das Studium der Akten nicht konzentrieren,
trank viel und rannte in meinem Zimmer auf und ab. Meine Arme und Schultern
beherrschte ein pelziges Zittern, ich hatte Lust, diese Arme, diese
fremdgewordenen Auswüchse kreisen zu lassen, sie wie ein Rockgitarrist
herumzuschleudern und dazu zu tanzen. Aber der letzte Antrieb dazu fehlte, und
mein Körper kam mir immer schwerer und beklommener vor.
    Lukian bat ich darum, er möge mir jene Dorfkneipe zeigen, in der
Alexander auf Sofie gewartet hatte, er sagte, die gebe es schon lange nicht
mehr, es klang wie eine Ausflucht.
    Dann eben irgendeine Kneipe,

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